Zitate von Karl Kraus
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Ein Gourmet sagte mir: was die Crême der Gesellschaft anlange, so sei ihm der Abschaum der Menschheit lieber.
Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben, und haben etwas zu sagten, weil sie schreiben.
Dem Kampf gegen das Welsche scheint eine heimliche Sympathie für das Kauderwelsche zugrunde zu liegen.
Ich schlafe nie nachmittags. Außer, wenn ich vormittags in einem österreichischen Amt zu tun hatte.
Sie verstehen ihre eigene Sprache nicht, und so würden sie es auch nicht verstehen, wenn man ihnen verriete, daß das beste Deutsch aus lauter Fremdwörtern zusammengesetzt sein könnte, weil nämlich der Sprache nichts gleichgültiger sein kann als das „Material“, aus dem sie schafft.
Ein Hausknecht bei Nestroy wird mit der Last des Lebens fertig und wirft die Langeweile zur Tür hinaus. Er ist handfester als ein Professor der Philosophie.
Aus Lebensüberdruß zum Denken greifen: ein Selbstmord, durch den man sich das Leben gibt.
Es gibt auch eine Zeitexotik, die der Unbegabung ganz ebenso zu Hilfe kommt wie die Behandlung ausländischer Milieus. Entfernung ist in jedem Fall kein Hindernis, sondern das Mimikry mangelnder Persönlichkeit.
Der Übel größtes ist der Zwang, an die äußern Dinge des Lebens, die der inneren Kraft dienen sollen, eben diese zu verplempern.
Um zu glauben, daß Einer das alles gemacht hat, braucht man doch sicher mehr Gedanken, als nur zu wissen, daß er es nicht gemacht hat – ihr Idioten des freien Geistes!
Wer das Lob der Menge gern entbehrt, wird sich die Gelegenheit, sein eigener Anhänger zu werden, nicht versagen.
Wie närrisch gar, zu sagen, daß man, um sich von der Pest zu befreien, die Beule konfiszieren soll.
Ein Politiker steckt im Leben, unbekannt wo. Der Ästhet flieht aus dem Leben, unbekannt wohin.
Ich mag mich drehen und wenden, wie ich will, überall zeigt mir das Leben seine Verluste, da es entweder das Malerische dem Nützlichen oder das Nützliche dem Malerischen aufgeopfert hat.
Wo man Fremdwörter vermeiden kann, soll man’s bekanntlich tun. Da hört man immer von „Psychoanalytikern“. Als ich einmal einen auch zu sehen bekam, fiel mir sofort die glückliche Verdeutschung „Seelenschlieferl“ ein.
Das ist der Triumph der Sittlichkeit: Ein Dieb, der in ein Schlafzimmer gedrungen ist, behauptet, sein Schamgefühl sei verletzt worden, und erpresst durch Drohung mit der Anzeige wegen Unsittlichkeit die Unterlassung der Anzeige wegen Einbruchs.
Auch die Keuschheit würde lieber zugeben, dich vor zwei Jahren erhört als vor zwanzig abgewiesen zu haben.
Hierzulande gibt es unpünktliche Eisenbahnen, die sich nicht daran gewöhnen können, ihre Verspätungen einzuhalten.
Der Aphorismus deckt sich nie mit der Wahrheit; er ist entweder eine halbe Wahrheit oder anderthalb.
Ich arbeite Tage und Nächte. So bleibt mir viel freie Zeit. Um ein Bild im Zimmer zu fragen, wie ihm meine Arbeit gefällt, um die Uhr zu fragen, ob sie müde ist, und die Nacht, wie sie geschlafen hat.
Das Vorurteil ist ein unentbehrlicher Hausknecht, der lästige Eindrücke von der Schwelle weist. Nur darf man sich von seinem Hausknecht nicht selber herauswerfen lassen.
Man kann über eine Null ein Buch schreiben, der man mit einer Zeile zu viel Ehre erwiese.
Wenn der Dachstuhl brennt, nützt es weder zu beten noch den Fußboden zu scheuern. Immerhin ist das Beten praktischer.
Es gehört zum guten Ton, über eine schlechte Tat nicht zu sprechen. Wenn ein Lump dir die Absicht anvertraut, deinen Freund zu verraten, so ist Diskretion Ehrensache.
Es ist ein Unglück, daß in der Welt mehr Dummheit ist, als die Schlechtigkeit braucht, und mehr Schlechtigkeit, als die Dummheit erzeugt.
Die Verzerrung der Realität im Bericht ist der wahrheitsgetreue Bericht über die Realität.