Zitate von Peter Sloterdijk
page 1

Das neue Liebesgebot schreibt vor, die Güter, die dein Nachbar genießt, zu lieben, als könnten sie die deinen werden. Offensichtlich ist dieses extensive Gebot des Genießens kaum einfacher zu befolgen als das christliche Gebot der extensiven Nächstenliebe.

Schuld und Schulden weisen ein entscheidendes verbindendes Merkmal auf: Beide sorgen dafür, dass das Leben des Belasteten an einen in der Vergangenheit geknüpften Knoten gebunden bleibt.

Bei der Basis des Systems ist es so, dass der Unterschied zwischen einem Bundeskanzler und einer Packung Frühstücksflocken viel weniger klar ist, als an der Spitze des Systems.

Wissen und Macht sind die beiden Modi, wie man in das moderne Jenseits von Gut und Böse gelangt.

Während die gewöhnliche, vom niederen Eros diktierte Wirtschaft in Affekten des Habenwollens gründet, stützt sich die thymotische Ökonomie auf den Stolz derer, die sich frei fühlen zu geben.

Nicht die Menschen haben ihre Leidenschaften, die Leidenschaften haben vielmehr ihre Menschen.

Aus der Sicht der erfahrenen Geber kann das Festhalten am geerbten oder erworbenen Reichtum nur als versäumte Gelegenheit zur Verausgabung bewertet werden.

Insbesondere der sogenannte globale Terrorismus ist ein durch und durch posthistorisches Phänomen. Seine Zeit bricht an, wenn sich der Zorn der Ausgeschlossenen mit der Infotainmentindustrie der Eingeschlossenen zu einem Gewalttheatersystem für letzte Menschen verbindet.

Der Beseelung der Maschine entspricht strikt proportional die Entseelung des Menschen.

Die heilsame Fiktion des freien Dialogs aufrecht zu erhalten, ist eine letzte Aufgabe von Philosophie.

Apokalyptik ist die religiöse Form der Weltpreisgabe, wie sie allein in einer Lage entstehen konnte, in der sich die Einzelnen und Gruppen nur als ohnmächtige Zuschauer von Machtkämpfen zwischen überlegenen Gewalten empfanden.

Die Vergesellschaftung durch Schulung, wie sie hierzulande geschieht, ist die Verdummung a priori, nach der kaum ein Lernen mehr Aussicht bietet, dass die Dinge irgendwann besser würden.

Wer wirklich denkt, ist zu einer Einsamkeit verurteilt, die zum Neubeginn und Selbsterfühlen zwingt; nach diesem gibt es keine Tradition mehr, sondern nur noch ein Sichwiederfinden in Verwandtschaften und Konstellationen

Nur Individuen können weise sein, Institutionen sind im günstigsten Fall gut konzipiert.

Wenn die Dinge uns brennend auf den Leib rücken, muss eine Kritik entstehen, die das Brennen zum Ausdruck bringt. Sie ist keine Sache richtiger Distanz, sondern richtiger Nähe.

Das Lebensgefühl der Apokalyptiker ist dominiert vom Naherwartungsfieber und der frohen Schlaflosigkeit derer, die für die Welt die Vernichtung, für sich selbst die Verschonung erträumen.

Jahr für Jahr entlässt die Schule mehr und mehr Schülerkohorten, denen man ihre Anpassung an ein maladaptiv aus dem Ruder gelaufenes Schulsystem immer deutlicher anmerkt, ohne dass den einzelnen Lehrern und Schülern auch nur die geringste Schuld daran träfe.

Den Menschen mit dem Wahnsinn impfen heißt: die Einzelnen mit ihrem status quo unzufrieden machen und in ihnen eine Willensreaktion hervorrufen, dem trivialen Dasein einen nicht-trivialen Sinn zu geben.

Wer einen festen Rachevorsatz unerledigt in sich trägt, ist vor Sinnproblemen bis auf weiteres sicher.

Gegen Maos fröhlichen Exterminismus erscheint Hitler wie ein rachitischer Briefträger.

Die Klimatisierung des koexistentiellen Innenraums erfolgt durch die reziproke Extraversion der Symbioten.

Zynismus ist das aufgeklärte falsche Bewußtsein, an dem Aufklärung zugleich erfolgreich und vergeblich gearbeitet hat.

Balance üben heißt, keinem notwendigen Kampf ausweichen, keinen überflüssigen provozieren.

Wer komplexe Wirklichkeit leugnet, gibt sich gern objektiv und bezichtigt die Problembewussten der Wirklichkeitsflucht und der Träumerei.

Die permanente Stimulierung der Könner durch Konkurrenten gehört zu den Effekten der zunehmenden Netzdichte. Oft hat man unter Pädagogen übersehen, dass der wichtigste Lehrer der Rivale ist.

Dies ist der von Nietzsche postulierte Grundkonflikt aller Zukunft: der Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den Großzüchtern des Menschen – man könnte auch sagen zwischen Humanisten und Superhumanisten, Menschenfreunden und Übermenschenfreunden.

Geld ist Abstraktion in Aktion. Wert hin, Wert her, Geschäft bleibt Geschäft. Dem Geld ist alles egal. Es ist das Medium, in dem die Gleichsetzung des Verschiedenen sich praktisch verwirklicht. Wie nichts anderes besitzt es die Kraft, Verschiedenes auf den gleichen Nenner zu bringen.

Der wichtigste Teil jeder Trauer muss vor dem Tod des wesentlich Anderen vollzogen sein, soll sein Verlust nicht zur Versteinerung des Zurückbleibenden führen.

Bei den Olympischen Spielen in Peking steht der größte Aufmarsch der Gedopten bevor, seit der erste Mensch einen Stein schleuderte.

Aus heutiger Sicht lag die 68er-Bewegung exakt in dem Trend, der zur Konsumgesellschaft führt. Ohne es zu ahnen, waren wir, die westdeutschen Früh-Hedonisten, die Labormäuse des totalen Konsumismus.

Der war on terror besitzt die ideale Eigenschaft, nicht gewonnen werden zu können – und daher nie beendet werden zu müssen.

Sobald das rezessiv isolierte Subjekt sich umdreht, wird es auf seinen Schatten aufmerksam – er fällt, wie man leicht begreift, auf den gesamten Rest der Welt.

Der Gott der Zukunft heißt Hermes. Er ist der Gott der Kommunikation, des Internets und der Händler. Prometheus, der alte Gott der Produktion, dankt ab.

Stets ein wenig unruhig und reizbar blickt das mitmachende Bewusstsein nach verlorenen Naivitäten um sich, in die es kein Zurück mehr gibt, weil Bewusstmachungen irreversibel sind.

Sich suchen bedeutet an erster Stelle: den Willen zu einem Weg haben; die Richtung des Weges jedoch kann ursprünglich keine andere sein als das Weg von sich.

Aber die meisten Menschen denken nur alle zehn Jahre einen neuen Gedanken. Alles andere sind Wiederholungen. Zu hoffen, der Mund der Wahrheit zu sein, durch den irgendetwas Unerhörtes zum ersten Mal im Fernsehen zur Sprache kommt, ist ein infantil romantischer Gedanke.

Die Medien können alles geben, weil sie den Ehrgeiz der Philosophie, das Gegebene auch zu verstehen, restlos haben fallen lassen. Sie umfassen alles, weil sie nichts erfassen; sie bringen alles zur Sprache und sagen über alles nichts.

Die meisten Parteipolitiker interessieren sich sehr wenig für die Gedanken und Gefühle der Leute, deren Geld sie ausgeben.

Die Bewohner der wohlhabenden Nationen schlafwandeln zumeist im unpolitischen Pazifismus. Sie verbringen ihre Tage in einer vergoldeten Unzufriedenheit.

Wer einen Weg zu sich selbst sucht, träumt von einem Zustand, in dem er sich selbst ertrüge. Daher ist keine Suche nach dem wahren Selbst eine theoretische; die Suche entspringt dem Drang des Lebendigen nach einer Wahrheit, die unerträgliches Leben erträglich machte.

Er war 30 Jahre lang sozusagen das Maß aller Dinge in den Fragen des Bergsteigens, des Alpinismus. Sozusagen unser Mann im ewigen Eis. Sie waren so lange in Nepal, dass die Yetis jetzt sich schon über Sie unterhalten und sich fragen, ob es den Messner wirklich gibt!

Die globalisierte Welt ist die synchronisierte; ihre Form ist die hergestellte Zeitgleichheit; ihre Konvergenz findet sie in Aktualitäten.

Eine bleibende Kulturleistung der 68er besteht darin, dass sie die deutsche Gesellschaft in ein Kollektiv von Halbkranken umgeschaffen haben.

Der Glaube ist ein purer Antizipationseffekt insofern, als er schon wirksam wird, wenn er aufgrund der Antizipation die Existenz der Antizipanten zielwärts mobilisiert. Man müsste dies, in Analogie zum Placebo, den Movebo-Effekt nennen.

Das Leben produziert einen symbolischen Überschuss, der als Weisheit, Wissen und Können in die Lebensspiele der nächsten Generation eingespeist wird.

Das Axiom der alltäglichen Geschäfte lautet bekanntlich, dass die Spielregeln akzeptieren muss, wer aus einem gemeinen Spiel als Sieger hervorgehen möchte. Realismus vor diesem Hintergrund heißt Gelassenheit in der Gemeinheit.

Das Wesen der Gabe besteht darin, den Freiheitsradius der nehmenden Seite zu erweitern, während sie den der gebenden ausschöpft.