Zitate von Rainer Kohlmayer
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Der Wirklichkeit „ins Auge“ blicken. Was kann dabei schon herauskommen? Höchstens ein Selbstporträt.
Regietheater. – Jahrelang hat man die Klassiker interpretiert. Jetzt kommt es darauf an, sie zu verändern.
Geschlechtsspezifische Komplimente. – Er findet sie herrlich, sie findet ihn dämlich.
Casanova. – Nach sechs Monaten Zuchthaus wegen Polygamie wurde er entlassen. Er galt als polyzahm.
Ehebündnis. – „Er ist mit einer Fahnenstange verheiratet. Sie zeigt immer die gleiche aufrechte und hölzerne Treue.“
Jeder hat das Zeug zum Kolumbus. – Der Vorteil eines schlechten Gedächtnisses ist, daß man mehr Entdeckungen macht als andere Leute.
Der Redakteur bezeichnete seine Freundin als Wochenendbeilage: Hochglanz, anregend, unverbindlich.
Paradoxe Symmetrie. – Reichtum und Armut haben eines gemeinsam: Beide sind Vergrößerungsgläser für Tugenden und Laster.
Casanovas Hypothese. – Das Lächeln der Mona Lisa sei gar nicht so rätselhaft, meinte er. „Leonardo hat das Kopfkissen übermalt.“
Hosen runter. – Tatsachen sind nackt. Lügen dagegen erkennt man daran, daß sie sich keine Blöße geben wollen.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Einwohnern Deutschlands? – Die Nachrichten unterscheiden zwischen „Personen“, „Menschen“ und „Bürgern“. Ob das immer mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
Der Vamp. Die Frau. Das Weib. – Die deutsche Sprache verhindert mit ihren willkürlichen Genusartikeln, daß die Allmacht der Geschlechtlichkeit im Bewußtsein Fuß faßt. Ein neurotisches Ablenkungsmanöver.
Jungwissenschaftler auf der Suche nach einer Seilschaft. – Sein Aufsatz besteht aus Verbeugungen in alle Himmelsrichtungen und endet mit einem höflich lächelnden Abgang – nach rückwärts auf allen Vieren.
Er drückte sich vor dem offenen ins gedruckte Wort. Wer den Druck der Welt nicht aushält, kann sich in der Welt des Druckes austoben.
Cogito ergo sum auf Deutsch? – „Die Selbstreflexion des Subjekts erzeugt denknotwendig die mentale Präsenz der Existenzgewissheit des mit sich selbst identischen Subjekts.“
Vorschlag zur Reduktion von Komplexität bei schwierigen Entscheidungssituationen in demokratischen Gremien sowie zur Beseitigung unnötiger bürokratischer Formalitäten. – „Ich!“
Stilkritik. – Es gibt Formulierungen, denen man die stilistische Perücke abnehmen muß, um die Nichtigkeit des Gedankens zu beweisen.
Effi Briest. – „Sach mal, kannste mir vielleich sachn, also ick hab det janze Buch durchjelesn, aber – janz ehrlich – ick weeß immer noch nich, wat ‚briesen‘ bedeutet…“
Prof. Dr. YZ. – Seit Jahren hat er nichts Wichtiges publiziert, baut aber in jeder Sitzung eloquent sein Potemkinsches Dörfchen auf.
Mit den philosophischen Gedanken verhält es sich wie mit den Regenwürmern: Sie zeigen sich nur bei schlechtem Wetter.
Praxisbezogene Theorie. – Als das Karussellpferd müde, störrisch und aufsässig wurde, machte der Menageriebesitzer eine kleine Pause und zog dem Tier den Doktorhut der Karussellpferdtheorie über den Kopf. Stolz trabte es weiter.
Bloß keine Blöße zeigen. – In Sätzen, die als Meinungsäußerung von beamteten Wissenschaftlern gelten dürfen, herrscht das Gesetz des kategorischen Konjunktivs: „Ich möchte meinen wollen…“, „Man könnte der Ansicht sein…“
Prozeß der Zivilisation. – Gibt es eine nachdrücklichere Anleitung zur Selbstbeherrschung, Demut, Bescheidenheit als den täglichen Stau auf der Autobahn? Aber die Auslese ist hart: entweder heiligmäßige Sanftmut oder früher Herzinfarkt.
So oder so. – Es gibt zwei Richtungen der modernen Übersetzungswissenschaft. Die eine behauptet, um richtig übersetzen zu können, müsse der Mensch eine Maschine sein. Die andere: Um richtig übersetzen zu können, müsse die Maschine ein Mensch sein.
Konsequenz. – Wenn der Bock zum Gärtner gemacht wird, soll man sich nicht wundern, wenn die Gärtner bocken.