Zitate von Christian Morgenstern
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Wir wollen uns nie so ganz zu besitzen glauben, daß wir uns nicht noch nach einander sehnen müßten.
Nichts Schöneres als eine ernste Seele, Die, was sie schaut, gelassen andern spiegelt Und alle Kraft, die reich ihr innewohnt, Allein ins Leuchten dieses Spiegels legt.
Es gibt Menschen, die sich immer angegriffen wähnen, wenn jemand eine Meinung ausspricht.
Das Wunder ist das einzig Reale, es gibt nichts außer ihm. Wenn aber alles Wunder ist, das heißt durch und durch unbegreiflich, so weiß ich nicht, warum man dieser großen einen Unbegreiflichkeit, die alles ist, nicht den Namen Gott sollte geben dürfen.
Wie ist jede – aber auch jede – Sprache schön, wenn in ihr nicht nur geschwätzt, sondern gesagt wird.
Jede Landschaft hat ihre eigene, besondere Seele, wie ein Mensch, dem du gegenüber lebst.
Es gibt Menschen, welche Schlagworte wie Münzen schlagen, und Menschen, welche mit Schlagworten wie mit Schlagringen zuschlagen.
Am Vollblut spürst du sofort, was Adel ist, beim Menschen wirst du’s nicht gelten lassen.
Wer Gott aufgibt, der löscht die Sonne aus, um mit einer Laterne weiter zu wandeln.
Die hohen Tannen sprechen: Wir sind nicht traurig und nicht fröhlich, wir sind fest.
Wenn Du einen besonders schönen Vogel findest und Du willst ihn behalten, dann lass ihn fortfliegen, wenn er zurückkommt, dann gehört er Dir, wenn er fort bleibt, wäre er nie Dein Vogel gewesen.
Wer wollte den Gutartigen, den Begabten, den Wunderlichen nicht lieben! Aber den Böswilligen, den Ungeistigen, den Langweiligen zu lieben gilt es.
Im Hochgebirge Die Menschen klein, den Menschen groß Vom Felsen hoch zu sehn, so lieb‘ ich’s mir: Das sprießt und wimmelt aus der Erde Schoß – Und mächtig ringt das Ich sich aus dem Wir.
Überschätzt zu werden, zumal von einem Wesen, das einen liebt, kann in manchem einen edlen Eifer entzünden, jene geglaubte Höhe wirklich zu erreichen.
Warum muß ich so unaufhörlich unter mir und anderen leiden! Meine Seele ist fortwährend das Spiel über sie hinziehender Schatten.
Die Sprache ist eine ungeheure fortwährende Aufforderung zur Höherentwickelung. Die Sprache ist unser Geisterantlitz, das wir wie ein Wanderer in die unabsehbare und unausdenkbare Landschaft Gott unablässig weiter hineintragen.
Je ernster ein Kritiker seine Kritik nimmt, desto kritischer wird er seinen Ernst nehmen.
Ordnung und Klarheit – schöne gute Dinge, wiewohl ich nie im Zweifel war: Die Welt ist (mindestens in manchem Sinne) so wenig „ordentlich“ wie „klar“.
Der Mensch, das Individuum, ist Gottes Einfalt, ist einfältig gewordene Gottheit.
Die Ruhe ist Dein Feind, sie ist mein Feind, ist der Feind aller Menschen – ich meine die Ruhe der untätigen Behaglichkeit.
Und immer wieder komme ich darauf zurück, daß die Bewertung der geschlechtlichen Liebe unter uns Heutigen eine krankhafte Höhe erreicht hat, von der wir durchaus wieder heruntersteigen müssen.
Problem Es flog ein Stein so weit, so weit – und hatte doch kein Federkleid! Es war ihm ja zu gönnen. Indessen rechte Seltsamkeit, Daß Steine fliegen können!
Im Menschen vollendet sich und endet offenbar die Erde. Der Mensch – ein Exempel der beispiellosen Geduld der Natur.
Eine schwache Persönlichkeit wird manchmal eine stärkere Persönlichkeit werden können als eine starke Persönlichkeit.
Ein berühmter Arzt ist wie eine junge Millionenerbin. Er weiß nie, wie weit man ihn als Menschen und nicht nur als Arzt liebt.
Daß der moderne Mensch nicht schreien soll, ist eine seiner qualvollsten und verderblichsten Forderungen an sich selbst.
In einem großen Geiste bricht jahrhundertelanges, im Verborgenen schaffendes Keimen der Naturkräfte zur strahlenden Blüte auf.
Dieser Norden! Da wacht man in der verheißendsten Stimmung auf. Griesgrämig, grau, teilnahmslos ruhen die großen Augen der Fenster auf dir, als wollten sie sagen: wozu regst du dich so auf? was willst du mit deinen törichten Idealen? Alles ist eitel.
Es ist schön, zu denken, daß so viele Menschen heilig sind in den Augen derer, die sie lieben.
Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herren verstümmelt.
Ist es auch ein Duft von Blumen nur, macht es holder doch der Erde Flur wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.
Was ist der Mensch, daß er nicht alles hingeben sollte – um des Menschen willen!
Es ist das Interessante an Büchern, über denen man eigentlich den Verstand verlieren müßte, daß man durch sie vielmehr an Verstand gewinnt.