Zitate von Christian Morgenstern
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Wem das allgemeine Wohl das höchste Ziel auf Erden dünkt, der tut den Menschen gar nichts so Gutes, wie er meint. Man soll nie das Wohl, man soll nur das Heil jedes Menschen im Auge haben, – zwei Dinge, die sich oft wie Wasser und Feuer unterscheiden.
Wer nicht zuvor sich selbst vorschreibt, wird auch den Menschen nie vorschreiben dürfen. Man kann dem Wesen der Macht nichts abmarkten.
Das von selbst Verständliche wird gemeinhin am gründlichsten vergessen und am seltensten getan.
Ich hatte mich in „Gott“ verloren. Aber Gott will nicht, daß wir uns in ihm verlieren, sondern daß wir uns in ihm finden, das aber heißt, daß wir Christus in uns und damit in ihm finden…
Manchmal wird mir die ganze Psychologie verdächtig, wenn ich bemerke, daß auf eine richtige Kombination schon bei den alltäglichsten Dingen so und so viele falsche kommen. Ja, wenn ein Mensch im Prinzip so denken und empfinden müßte, wie die andern!
Immer wieder: Nicht so sehr, was wir denken, ist das Höchste. Das Höchste ist das Denken selbst. Es allein verbürgt uns mit eherner Sicherheit den mit uns geborenen Gott.
Vielen ist Reisen ein Ersatz für Leben. Es gibt oft nichts Schmerzlicheres, als solches zu erkennen.
Was ich heute tue, tue ich nicht um meinetwillen, sondern um meiner Liebe zum Menschen willen.
Der Nenner, auf den heute fast alles gebracht wird, ist Egoismus, noch nicht – Liebe.
Abstrakte Gedanken sind zuletzt auch nichts als – konkrete Wesenheiten; es ist ganz umsonst, das Leben aus dem Leben heraustreiben zu wollen.
Ich bin ein Studienkopf, den der Schöpfer einst flüchtig skizzierte, als ihm ein Künstlerportrait im Sinne lag.
Eines bleibt keinem Philosophen erspart: Das Offene-Türen-Einrennen. Dreiviertel seiner Kraft geht darauf flöten.
Der moderne Mensch „läuft“ zu leicht „heiß“. Ihm fehlt zu sehr das Öl der Liebe.
Die Natur ist die große Ruhe gegenüber unserer Beweglichkeit. Darum wird sie der Mensch immer mehr lieben, je feiner und beweglicher er werden wird. Sie gibt ihm die großen Züge, die weiten Perspektiven und zugleich das Bild einer bei aller unermüdlichen Entwickelung erhabenen Gelassenheit.
Über jedem Gedanken, jeder Vorstellung liegen hundert Gedanken und Vorstellungen, die uns das jeweils Gedachte, jeweils Vorgestellte verhüllt.
Entweder man ist Künstler oder Philosoph. Der Philosoph achtet die Kunst, ja liebt sie, – aber er komplimentiert sie hinaus, wenn er mit seinem Ernst allein sein will.
Der Mensch rennt an die Mauer an, aber der Geist geht durch die Mauer hindurch.
Der Mensch hat die Liebe als Lösung der Menschheitsfrage einstweilen zurückgestellt und versucht es augenblicklich zunächst mit der Sachlichkeit.
Erst das Wort reißt Klüfte auf, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Sprache ist in unsere termini zerklüftete Wirklichkeit.
Sieh an, wie ein Zweirad in Bewegung und Fahrt gesetzt wird. Wenn du deinen Willen so in Bewegung und Fahrt zu versetzen vermagst, so wirst du nach einigen Schwankungen wie ein Meister im Sattel sitzen.
Ein ander Mal Drei Rehe stehn wie eine Gruppe starr – wird er vorübergehn, der fremde Narr? Er wird vorübergehn, liebreizend Bild; er ist ein Jäger nur auf Seelenwild
Einer der seltsamsten Zustände ist das dunkle und unvollkommene Bewußtsein, das wir von der Form und dem Ausdruck unseres eigenen Gesichts haben.
Was du denkst und sagst, ist vor allem Ausdruck. Der sogenannte eigentliche Sinn des Gesagten ist nicht sein einziger Sinn.
Denke dir einen Teppich aus Wasser. Und als die Stickerei dieses Teppichs die Geschichte des Menschen.
Durch die Natur beruhigt sich Gott selbst immer wieder. Wehe, wenn er als Mensch in dem unseligen Fieber der Zivilisation sich selbst als Natur zerstört haben wird.
Jeder Jüngling mag von sich denken, er sei der Messias, aber er muß nicht Messias sagen, sondern nur Messias tun.
Eine der größten Unverfrorenheiten des Menschen ist, dies oder jenes Tier mit Emphase falsch zu nennen, als ob es ein annoch falscheres Wesen gäbe, in seinem Verhältnis zu den andern Wesen, als der Mensch!
Der gesunde Mensch ist schön und sein Zustandekommen erstrebenswert. Aber es muß ein bißchen irgendwelcher Krankheit in ihn kommen, daß er auch geistig schön werde.
Es ist der Schritt, der erobert. „En marche“ ist eines der schönsten Worte der Welt.
Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Unser Bestes sind nicht unsere Werke. Das liegt oft in einem Blick von uns, in einem Gedanken, um dessentwillen wir uns selbst lieben möchten und um den doch niemand je weiß.
Wahrhaftig, das Dreidimensionale kann noch nicht das Letzte sein. Es wäre ein zu grober Abschluß für ein so feines Kunstwerk wie die Welt.
Wie sollte man wohl leben, wenn man nicht fortwährend bei sich wie bei den anderen hunderterlei Krumm gerade sein ließe.
Auch der Baum, auch die Blume warten nicht bloß auf unsere Erkenntnis. Sie werben mit ihrer Schönheit und Weisheit aller Enden um unser Verständnis.
Schließlich und endlich: was vermisse ich unter meinen Mitmenschen am meisten? Wirkliche, wirkliche Phantasie.