Zitate von Karl Kraus
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Das beste Deutsch könnte aus lauter Fremdwörtern zusammengesetzt sein, weil nämlich der Sprache nichts gleichgültiger sein kann als das Material, aus dem sie schafft.
Die menschlichen Einrichtungen müssen erst so vollkommen werden, dass wir ungestört darüber nachdenken können, wie unvollkommen die göttlichen sind.
Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie’s lesen.
Des Weibes Sinnlichkeit ist der Urquell, an dem sich des Mannes Geistigkeit Erneuerung holt.
Aber die Sprache des Kampfes steht in einem naturhaften Zusammenhang mit der Wahrheit, und ich spreche es mit der höchsten Achtung vor einer mißbrauchten Menschlichkeit aus, daß sie, wo sie einmal frei ausströmen darf, einer fehlerlosen Sprache fähig ist.
Fluch dem Gesetz! Die meisten meiner Mitmenschen sind traurige Folgen einer unterlassenen Fruchtabtreibung.
Einem Raubvogel Tief in mein Innres reichen seine Krallen: Er stiehlt schon, was mir noch nicht eingefallen.
Wer offene Türen einrennt, braucht nicht zu fürchten, daß ihm die Fenster eingeschlagen werden.
Die Ehre ist der Wurmfortsatz im seelischen Organismus. Ihre Funktion ist unbekannt, aber sie kann Entzündungen bewirken. Man soll sie getrost den Leuten abschneiden, die dazu inklinieren, sich beleidigt zu fühlen.
Sollte man, bangend in der Schlachtordnung des bürgerlichen Lebens, nicht die Gelegenheit ergreifen und in den Krieg desertieren?
Was es bedeute, hat einer gefragt, und was für Leute man heute so nennt. Man nennt, versetzt ich, prominent, die einst nicht hätten hervorgeragt.
Die Satire ist fern von aller Feindseligkeit und bedeutet Wohlwollen für eine ideale Gesamtheit, zu der sie nicht gegen, aber durch die realen Einzelnen durchdringt.
Eine neue Erkenntnis muß so gesagt sein, daß man glaubt, die Spatzen auf dem Dach hätten nur durch einen Zufall versäumt, sie zu pfeifen.
Eine Gesellschaftsform, die durch Zwang zur Freiheit leitet, mag auf halbem Wege stecken bleiben. Die andere, die durch Freiheit zur Willkür führt, ist immer am Ziel.
Am unverständlichsten reden die Leute daher, denen die Sprache zu nichts anderem dient, als sich verständlich zu machen.
Man glaubt gar nicht, wie viel Häßlichkeit die angestrengte Beschäftigung mit der Schönheit erzeugt!
Größenwahn ist nicht, daß man sich für mehr hält als man ist, sondern für das, was man ist.
Wenn ich die Feder in die Hand nehme, kann mir nichts geschehen. Das sollte sich das Schicksal merken.
Das älteste Wort sei fremd in der Nähe, neugeboren und manche Zweifel, ob es lebe. Dann lebt es. Man hört das Herz der Sprache klopfen.
Wo ehedem erhöhter Kunstgenuß das erwünschte Zerstreuungswerk besorgte, reicht heute der nächstbeste Klatsch und eine einfache Verstärkung des theatralischen Nachrichtendienstes aus, um einen Leser über die Weltlage zu beruhigen.
Eine je stärkere Persönlichkeit die Frau ist, um so leichter trägt sie die Bürde ihrer Erlebnisse. Hochmut kommt nach dem Fall.
Was sind all die Orgien des Bacchus gegen die Räusche dessen, der sich zügellos der Enthaltsamkeit ergibt!
Dieser Autor ist so tief, daß ich als Leser lange gebraucht habe, um ihm auf die Oberfläche zu kommen.
An der schönen Herrin sprangen ihre Hunde empor wie seine Gedanken und legten sich ihr zu Füßen wie seine Wünsche.
Die anständigen Frauen empfinden es als die größte Dreistigkeit, wenn man ihnen unter das Bewusstsein greift.
Nichts ist trauriger als Niedrigkeit, die ihren Lohn nicht erzielt hat. Sie bilde sich nachträglich nicht ein, daß sie Gemeinheit l’art pour l’art sei.
Es kommt darauf an, sich zu konzentrieren, dann findet man das Beste. Man kann aus dem Kaffeesatz weissagen, ja man kann sogar im Anblick einer Frau auf Gedanken kommen.
In einem geordneten geistigen Haushalt sollte ein paarmal im Jahr ein gründliches Reinemachen vor der Schwelle des Bewußtseins stattfinden.
Welche Plage, dieses Leben in Gesellschaft! Oft ist einer so entgegenkommend, mir ein Feuer anzubieten, und ich muss, um ihm entgegenzukommen, mir eine Zigarette aus der Tasche holen.
Nichts wird dem deutschen Humoristen zum größeren Erlebnis als die Vorgänge der Verdauung.