Kurt Marti Zitate
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Ich glaube nicht, dass es einen voraussehbaren Weg gibt. Der Weg kommt, indem wir gehen.
Kurt MartiSie ist nur noch ein Schatten, der ihren Verhängnissen folgt.
Kurt MartiSinnlicher Akt Immerzu tut man dergleichen, als lese ein Mensch direkt mit seinem Geist. Irrtum: Wir lesen mit den Augen, mit Sinnesorganen. Lesen ist zunächst ein sinnlicher Akt: Einer der seltenen Prosaautoren, die das begriffen haben, ist Arno Schmidt.
Kurt MartiOstern, Neuzeit: Christus lebt, die Hasen sterben aus.
Kurt MartiIm Schlaf nutzt der Körper die Abwesenheit des stets betriebigen und umgetriebenen Ichs, um die Schäden auszubessern, die dieses tagsüber angerichtet hat.
Kurt MartiManchmal ist’s Verstorbenen anzusehen, daß selbst der Tod ein lachendes Gesicht haben kann.
Kurt MartiWir sind das Volk. Wo ist das Volk? Im Supermarkt gehört man dazu.
Kurt MartiIch könnte mir einen Dokumentarfilm denken, dessen Thema seinen Titel ergibt: „Sachzwang frißt Menschenfleisch“.
Kurt MartiLeser: die Société Anonyme eines Autors.
Kurt MartiIkonenmaler beten, bevor sie zu malen beginnen. Wogegen andere zu malen anfangen, weil sie nicht anders beten können als malend. Und nochmals andere malen, ohne an Beten zu denken. Bilder, die nachher sind wie Gebete.
Kurt MartiGesucht sind Macher. Nötig wären Verhinderer.
Kurt MartiGeschlagen, gestreichelt vom Bewußtsein meiner Nichtswürdigkeit, tarne ich mich mit dem Habitus, dem „Anzug“ eines Stoikers, den ich überhaupt nicht mag.
Kurt MartiMacher Gefragt sind „Macher“. Wer sich einmal den Ruf als solcher erwerben konnte, hat alle Chancen aufzusteigen in den Kreis jener obersten Macher, die gar nichts machen.
Kurt MartiDurch stillere Wege, durch Gärten irrt eine versäumte Liebkosung.
Kurt MartiWir Väter, dazu verdammt, unseren Kindern das Über-Ich aufzubürden: deswegen sind wir (welch zweifelhafte Ehre) so unentbehrlich für Staat und Gesellschaft.
Kurt MartiMoralisten Moralisten, die etwas taugen, sind es mit Unlust, denn Moralist sein verdirbt den Charakter. Noch mehr freilich wird dieser geschädigt durch eine Moral, deren Verlogenheit zu entlarven die Aufgabe der Moralisten bleibt.
Kurt MartiNoch immer spricht Hoffnung aus dem Satz, daß Gott kein Macher, sondern ein Schöpfer ist.
Kurt MartiArmbrustzeichen Das Eigenschaftswort „schweizerisch“ meint eine spezifische Art, mit unseren Problemen nicht fertig zu werden.
Kurt MartiRelation Im Verhältnis zu den Religionen muß Gott etwa sein, was das Meer zu Wellen, die wir an einen Hafendamm schlagen sehen.
Kurt MartiWar ich feige aus Müdigkeit? Oder war Feigheit der Grund meiner Müdigkeit? Wie auch immer: ich log.
Kurt MartiDenken, man weiß es, braucht Zeit. Zeit aber ist – heute jedenfalls – Geld. Also braucht Denken Geld. Doch will das Geld nicht, daß gedacht wird.
Kurt MartiWelche wohltat einmal auch sagen zu dürfen: nein, er war nicht tüchtig und wechselte oft die stelle.
Kurt MartiGott, so denkt man oft, so verkünden Eiferer lauthals, sei Antwort. Spröder sagt die Bibel, daß er Wort sei. Und wer weiß, vielleicht ist er meistens Frage: die Frage, die niemand sonst stellt.
Kurt MartiDaß das Weltall finster, daß es schwarz sei, mache ihm Angst, vertraute ein alter Mann mir an. Meine Einfühlung ließ mich im Stich. Mir ist die Finsternis des Alls schnuppe. Ich habe nicht die Absicht, astronautische oder postmortale Ausflüge dorthin zu unternehmen.
Kurt MartiEinander wortverwandt: Treue und trauen vertrauen. Auch „Trauer“ vielleicht?
Kurt Marti„Die Kirche ist auch für die Arbeiter da“, sagte der Pfarrer. Niemand hatte etwas dagegen. Nur war in der Kirche, wie meistens, kein Arbeiter da.
Kurt MartiWunsch Daß Gott ein Tätigkeitswort werde.
Kurt MartiDurchreise Gott reist durch – durch uns hindurch. Vielleicht läßt er etwas mitlaufen von uns?
Kurt MartiWie gerne wüßte man mehr vom Tod – weshalb? Etwa, weil wir so wenig vom Leben wissen?
Kurt MartiStatistik: Arme werden schneller krank, langsamer gesund und sterben früher als Begüterte.
Kurt Marti„Immer“: mehr als „immer wieder“, aber weniger als „ewig“, weil nach wie vor der Zeit verhaftet, was im, französischen „toujours“ noch deutlicher wird.
Kurt MartiLügen gibt es, die so schön, so phantastisch und spannend sind, daß es jammerschade wäre, wenn sie nicht erzählt worden wären – Triumph der Ästhetik über die Ethik.
Kurt MartiKann technokratische Disziplin uns vor dem Untergang retten oder ist sie schon dessen Beginn?
Kurt MartiExtra caritatem nulla salus – „Außerhalb der Kirche kein Heil.“ Neutestamentlich müßte der Satz lauten: „Außer der Liebe kein Heil.“
Kurt MartiHeillos gesund überlebt der kirchliche Apparat das Verschwinden Gottes aus ihm. Er hat es nicht einmal bemerkt.
Kurt MartiDie Kirche des Geistes sind unsere Körper, schrieb der Epileptiker einst nach Korinth (1. Korinther 6.19). Erst später: Kirchen aus Stein.
Kurt MartiVoyeurismus Voyeurs, elende, die wir an Sterbebetten, aufgewühlt oder kühl, die schrecklichste Vergewaltigung eines Nächsten beäugen, ohne uns der Dreistigkeit zu schämen, weiterzuleben, während er stirbt.
Kurt MartiTranszendenz. Dessen unfaßliche Macht sich darauf gründet, keine zu haben. Oder jedenfalls keine in einem uns geläufigen Sinn.
Kurt MartiMehr und mehr erschöpft mich nicht enden wollende Trauer, sagte er, doch hat mein Körper noch nicht die passende Krankheit gefunden für sie. Inzwischen bin ich gesund.
Kurt MartiFrüher war man pünktlich. Heute kommen die Leute im Auto und meistens zu spät.
Kurt MartiDie Konjugation hat recht: ohne Ich kein Du, kein Er, keine Sie usw. Nichts ist, wo nicht Ichs sind.
Kurt MartiGott? Jener Große, Verrückte, der noch immer an Menschen glaubt.
Kurt MartiÜberall nimmt alles überhand. Je zerstörter unsere Sinne, desto sinnloser wird zerstört. Weder essen noch trinken noch Liebe machen bleibt heute, falls einem am Weiterleben gelegen ist, ohne Vorsichtsmaßnahmen möglich.
Kurt MartiEin Grab greift tiefer als die Gräber gruben, denn ungeheuer ist der Vorsprung Tod. Am tiefsten greift das Grab, das selbst den Tod begrub, denn ungeheuer ist der Vorsprung Leben.
Kurt MartiGebetchen Herr, mach, daß ich nicht mißmutig werde, wenn ich beim Jassen verliere.
Kurt MartiKonfektion eben: sie paßt für alle ein bißchen, für niemanden ganz. Wie die Moral.
Kurt MartiMit Geld verhält sich’s ähnlich wie mit Gott: Noch ehe wir lernen, mit ihm umzugehen, geht es mit uns um.
Kurt MartiTreue, die Verrat, Verrat, der Treue ist – radikaler, verstörender konnte die von Nietzsche angekündigte Umwertung aller Werte nicht ausfallen.
Kurt MartiWesteuropäer empfinden Kirchengesänge oft als Ohren-Trance, als Hymnisches Theodosiakum.
Kurt MartiAn manchen Tagen fressen die kleinen die großen Fragen auf. An anderen Tagen verschlingen die großen Fragen die kleinen. Doch hinterher stellt sich nicht selten heraus, daß die kleinen große, die großen kleine Fragen waren.
Kurt Marti