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Wer keine Ungerechtigkeiten vertragen kann, gelangt selten zu Ansehen in der Gegenwart, und wer es kann, verliert den Charakter für die Zukunft.
Johann Gottfried SeumeWer das erste Privilegium erfunden hat, verdient vorzugsweise, so lange im Fegefeuer in Öl gesotten oder mit Nesseln gepeitscht zu werden, bis das letzte Privilegium vertilgt ist.
Johann Gottfried SeumeAuf Billigung der Menschen muß man nicht rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostrazismus für den nämlichen Mann und für die nämliche Tat.
Johann Gottfried SeumeDemut, Mut zu dienen! Ich habe nie gehört oder gelesen, daß humilitas bei den Alten unter die Tugenden gerechnet worden wären. Demut ist der erste Schritt zur Niederträchtigkeit.
Johann Gottfried SeumeWenn alle nur vernünftig stolz wären, es würde in der Welt nicht so niederträchtig hergehen.
Johann Gottfried SeumeBis jetzt ist zur Erziehung des Menschengeschlechts nichts getan. Die Franzosen fingen an, hörten aber sogleich auf.
Johann Gottfried SeumeWenn unser Charakter ausgebildet ist, fängt leider unsere Kraft an zusehends abzunehmen.
Johann Gottfried SeumeDeutsche zerfleischen einander, und der Wahnwitz der Nation erregt das Gelächter der anderen Nationen.
Johann Gottfried SeumeMan will bemerkt haben, daß die Leute in dem Verhältnisse gescheit waren, als sie nicht gelehrt waren; wenigstens findet man, daß die Gelehrtesten nicht sehr gescheit sind.
Johann Gottfried SeumeJe mehr Geld einer hat, desto gieriger trachtet er nach Vorrechten im Staate, damit er die anderen immer besser drangsalieren kann.
Johann Gottfried SeumeWo man singet, laß dich ruhig nieder; Ohne Furcht, was man im Lande glaubt; Wo man singet, wird kein Mensch beraubt; Bösewichter haben keine Lieder.
Johann Gottfried SeumeWer die Regeln des Rechts nicht in sich trägt, findet von außen wenig Leitung.
Johann Gottfried SeumeMan gibt in unserem Staate der Gerechtigkeit meistens eine Form, die schrecklicher ist als die Ungerechtigkeit selbst.
Johann Gottfried SeumeDem Beobachter ist das kommende Jahr immer der Kommentar des vergangenen. Wer etwas heller sieht, hat ihn oft nicht nötig.
Johann Gottfried SeumeNiemand darf gezwungen werden, für einen anderen zu arbeiten; Arbeit soll aus freiem Willen getan werden.
Johann Gottfried SeumeEs gibt Geschichtsmänner, die das Schicksal bis zur Ohnmacht groß gemacht hat. Dann geht es ihnen wie den überwachsenen Körpern.
Johann Gottfried SeumeMan darf die meisten Dinge nur sagen, wie sie sind, um eine treffliche Satire zu machen.
Johann Gottfried SeumeDie gefährlichsten Feinde des Staats sind fast immer im Staate selbst: die Pleonexie (Unersättlichkeit, Habsucht) der Einzelnen und der Kasten.
Johann Gottfried SeumeDie meisten Regenten fürchten sich mehr vor den Bürgern als vor äußeren Feinden: ein Beweis, daß die meisten Staaten schlecht eingerichtet sind.
Johann Gottfried SeumeDie Unschuld schmückt mehr als Gewand von Seide, Und Frohsinn mehr als Glanz der Eitelkeit.
Johann Gottfried SeumeNur der ist der Edelste, der das meiste für das Vaterland tut und das wenigste dafür genießt.
Johann Gottfried SeumeFaulheit und Dummheit und die aus beiden gemischte Furcht sind die Quellen des meisten Unfugs, den Bosheit und Übermut anrichten.
Johann Gottfried SeumeDie Schlechten sind tätig und verwegen, die Besseren - denn Gute kann man sie nicht nennen - sind träge und furchtsam, das erklärt den meisten Unsinn, den wir auf der Welt sehen.
Johann Gottfried SeumeDemut und die mit ihr verwandte Geduld sind Engelstugenden, die die Spitzköpfe den Plattschädeln gar zu gern einprägen.
Johann Gottfried SeumeEs würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge. Sich tragen lassen zeugt von Ohnmacht, gehen von Kraft.
Johann Gottfried SeumeEs führet uns am Gängelband ein ganzes Heer von Vorurteilen. Kaum hat man ein Gespenst verbannt, und ganze neue Rotten eilen dem Orte zu, wo das verjagte stand.
Johann Gottfried SeumeAlle sauren Moralisten hielten ihr Zeitalter für das schändlichste, und sie haben alle recht, denn die gegenwärtige Schande ist immer die größte.
Johann Gottfried SeumeWenn man sagt, eine Nation kann die Freiheit nicht vertragen, so heißt das: der weit größere Teil besteht aus Schurken, Narren, und Dummköpfen, oder ein einzelner versteht es, sie dazu zu machen.
Johann Gottfried SeumeDas Urteil über öffentliche Männer, es mag wahr oder falsch sein, kommt nie zu früh, aber oft zu spät.
Johann Gottfried SeumeOb Brutus gut war, ist problematisch, aber es ist nicht problematisch, daß Cäsar schlecht war.
Johann Gottfried SeumeGroß ist, wer seine Feinde tapfer überwand; Doch größer ist, wer sie gewonnen.
Johann Gottfried SeumeWenn etwas hart bestraft wird, so beweist das gar nicht, daß es unrecht ist; es beweist bloß, daß es dem Vorteil der Machthaber nachteilig ist. Oft ist gerade die Strafe der Stempel der schönen Tat.
Johann Gottfried SeumeJede Periode des Lebens hat ihre Leidenschaften. Das Alter, das man für die weiseste halten sollte, hat gewöhnlich die schmutzigsten.
Johann Gottfried SeumeDie Freundlichkeit eines Freundes besticht mehr als das Gold des Despoten, und sicher mehr als ein Dolch.
Johann Gottfried Seume