Zitate von Max Frisch
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Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich ersparen möchte, bereits vollzogen: er dient der herrschenden Partei.

Der Schriftsteller scheut sich vor Gefühlen, die sich zur Veröffentlichung nicht eignen; er wartet dann auf seine Ironie.

Verhältnis von Lebensalter und Unwissen: Welche mathematische Kurve ergibt das? Trotz Zuwachs an Wissen schnellt die Kurve mit dem Lebensalter: das Unwissen wird unendlich.

So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfaßbar ist der Mensch, den man liebt – nur die Liebe erträgt ihn so.

Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, daß er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.

Das klare Todesbewußtsein von früh an trägt zur Lebensfreude, zur Lebensintensität bei. Nur durch das Todesbewußtsein erfahren wir das Leben als Wunder.

Ein Schauspieler kann vielleicht dumm und groß sein; ein Dichter, fürchte ich, kann beides nicht vereinen.

Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr in der Lage sind, zu definieren, was Kultur ist.

Der Unterschied zwischen einem Pferd und einem Autor: das Pferd versteht die Sprache der Pferdehändler nicht.

Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei – Es ist ohnehin schon wenig genug.

Man ist im Alter ungeheuer bedroht von der Langeweile – nicht, weil man nicht genug Menschen um sich hat, sondern: Langeweile vor sich selbst.

Wir können das Arsenal der Waffen nicht aus der Welt schreiben, aber wir können das Arsenal der Phrasen, die man hüben und drüben zur Kriegsführung braucht, durcheinander bringen.

Feministinnen sind Frauen, die dem Mann nicht vorspielen, daß sie auf eine Enträtselung durch den Mann warten.

Die Frau ist ein Mensch, bevor man sie liebt, manchmal auch nachher; sobald man sie liebt, ist sie ein Wunder.

Wer einmal über sechzig ist, hat es gelernt, Fragen zu beantworten mit treffenden Antworten auf Fragen, die nicht gestellt sind; so entsteht der Eindruck geistiger Regsamkeit.

Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.

Die Schweizer Armee ist kriegerisch nicht geprüft worden, deshalb eignet sie sich zur Legende.

Fragwürdig wie alles, was wir treiben, ist auch die Selbstkritik. Ihre Wonne besteht darin, daß ich mich scheinbar über meine Mängel erhebe, indem ich sie ausspreche und ihnen dadurch das Entsetzliche nehme, das zur Veränderung zwingen würde…

Feindbilder sind sicher nicht die Ursache für einen Krieg; sie erleichtern aber das Marschieren.

Eine Krise kann durchaus ein produktiver Zustand sein – vorausgesetzt, man nimmt ihr den Beigeschmack der Katastrophe.

Das Unvorstellbare entzieht sich unserem Gedächtnis, und das ist gut so, aber einmal, glaube ich, muss das Entsetzen uns erreichen – sonst gibt es kein Weiter.

Ein Wunderbares ist um die Ehe. Sie ist möglich, sobald man nichts Unmögliches von ihr verlangt, sobald man über den Wahn hinauswächst, man könne sich verstehen, müsse sich verstehen; sobald man aufhört, die Ehe anzusehen als Mittel wider die Einsamkeit.

Ob es Gott gibt, wenn es einmal kein menschliches Hirn mehr gibt, das sich eine Schöpfung ohne Schöpfer nicht denken kann?