Zitate von Sully Prudhomme
page 1

Wenn man erst wüsste, auf welche Weise man sterben muss, dächte man nur noch an den Tod.

Ein Gesicht ist in der Tat eine wunderbare Tastatur. Schon der Hauch eines Gedankens verändert die Linie der Lippen mit einer unglaublichen Genauigkeit des Ausdrucks.

Nicht alle Liebenden sind Dichter, bei weitem nicht. Gott sei Dank! Aber es gibt etwas, das alle Liebenden mit Dichteraugen sehen: das geliebte Objekt.

Bringen wir einander doch mehr Liebe entgegen, und die Erde hat ein anderes Gesicht.

Ich verstehe unter Mittelmäßigkeit das, was man Talent nennt. Was könnte man denen Ehrlicheres sagen, die kein Genie haben.

Man muß sparsam leben, aber seinen Verhältnissen gemäß. Deshalb fällt wohlverstandene Sparsamkeit nie auf, sobald man sie gewahr wird, ist sie Knauserei.

Die Annehmlichkeit und die Leichtfertigkeit eines auf die mechanischen Beschäftigungen beschränkten Daseins ersticken die Knospe gerechter Auflehnung.

Das Warten ist die grausamste Vermengung von Hoffnung und Verzweiflung, durch die eine Seele gefoltert werden kann.

Das Gewissen ist die Anwesenheit einer anderen Person in uns. Wer ist das also, der Einspruch gegen den persönlichen Eigennutz erhebt? Wenn man keinen Dualismus im Ich anerkennt, dann gibt es auch kein Gewissen mehr.

Das Elend des Menschen ist, die Wahrheit zu lieben und doch auf sie warten zu müssen.

Nach dem Zusammenbruch aller Illusionen genügt die Suche nach der Wahrheit, um uns fest ans Leben zu ketten.

Ein Buch über das Glück wäre nur gut, wenn es seine Leser glücklich machte, denn wenn sie unglücklich bleiben, ist das Rezept offensichtlich wertlos.

Da sich die Dinge des Herzens nicht erklären lassen, sind die empfindsamen Menschen in den philosophischen Diskussionen immer unterlegen.

Wenn jemand die höchste Stufe eines schmeichelhaften Glücks erreicht hat, ist er einem gefährlichen Abgrund am nächsten.

Die Gesetze eines Volkes bringen zum Ausdruck, was es zu sein vorgibt; die Sitten, was es ist.

Die Dichter haben eine derart dürftige Palette, daß sie sich an die Ungenauigkeit und an die konventionellen Vergleiche gewöhnen.

Was man einer anständigen Frau sagen kann, hat seine Grenzen; man kann alles durchklingen lassen, man kann nicht alles sagen.

Man sagt sich: „Wenn ich erkranke, was würde da aus meinen ganzen Vorhaben werden?“ Aber die Krankheit befreit von allem; man ist auch den Ehrgeiz los und genießt das wie eine Erlösung.

Im Grunde gibt es nur eine Einsamkeit, Ursprung all der anderen, nämlich die Entfernung vom Weltsinn, in der wir uns befinden, von Gott, wie er auch beschaffen sein mag.

Eine Liebesbeziehung läßt ebensoviel an Unabhängigkeit verloren gehen, was sie an Zuneigung gibt, und ein Bruch gleicht nie durch Unabhängigkeit aus, was er an Zuneigung nimmt. Deshalb übe größte Vorsicht, wer sich bindet, und das lernt man immer zu spät.

Die unerfüllte Liebe ist unvollkommen, Liebe ohne Zärtlichkeit und ohne Achtung desgleichen.

Der gelehrteste Mensch ist nicht der, der die meisten Wahrheiten kennt, sondern der, der die besten kennt.

Die Achtung, die uns die Mitmenschen einflössen, lässt sich an der Art unserer Vertraulichkeit ermessen.

Die höchste Stufe des menschlichen Elends ist die Angst vor dem, was den Menschen von seinem Elend befreien könnte: die Angst vor dem Tod.

Das Alter, das den Menschen der Lächerlichkeit aussetzt, nimmt ihm zugleich auch das Gefühl für diese Lächerlichkeit.

Wenn der Mensch einmal weiß, daß seine moralische Verantwortlichkeit von der Kenntnis der Naturgesetze abhängt, wird er im Rahmen seiner Fähigkeit, selbst Abhilfe zu schaffen, sogar für seine Unwissenheit verantwortlich.