Zitate von Christian Morgenstern
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Alles öffentliche Leben ist wenig mehr als ein Schauspiel, das der Geist von vorgestern gibt, mit dem Anspruch, der Geist von heute zu sein.

Wir spielen unsere Gedanken gegeneinander aus, in Wirklichkeit unsere Temperamente.

Zukunft! – und-er-schöpfliches Wort! O Lust zu leben! O Lust zu – – sterben! Wohin können wir denn sterben, wenn nicht in immer höheres, größeres – Leben hinein!

Auf einem Wandkalenderblatt ein Leu sich abgebildet hat. Er blickt dich an, bewegt und still, den ganzen 17. April. Wodurch er zu erinnern liebt, daß es ihn immerhin noch gibt.

Die Mission der Wahrheit ist, den Menschen in Geist aufzulösen, wie, materialistisch gesprochen, die Mission der Zeit, den Erdball in Luft.

Welch ein Unterfangen, sich hinter Worten verstecken zu wollen! Man ist ja – dieses Wort selbst.

Können wir leugnen, daß wir innerlich an allem noch irgendwie teilhaben, was an Bösem außer uns geschieht?

Warum sollte dies mein Leben ein Anfang oder Ende sein, da doch nichts ein Anfang oder Ende ist. Warum nicht einfach eine Fortsetzung, der unzähliges Wesensgleiche vorangegangen ist und unzähliges Wesensgleiche folgen wird.

Es ist merkwürdig, daß ein mittelmäßiger Mensch oft vollkommen recht haben kann, – und doch nichts damit durchsetzt.

Jedem, der seine Gedanken niederlegt, blickt schon im Augenblick des Schreibens ein Größerer über die Schulter, sei es ein Vergangener, Lebendiger, oder noch Ungeborener. Wohl dem, der diesen Blick fühlt: Er wird sich nie wichtiger nehmen, als ein geistiger Mensch sich nehmen darf.

Ich kann mit fertigen Menschen nichts anfangen. Es gibt fertigere Menschen denn mich, sicherlich ungezählte. Aber keiner ist fertig, soll je fertig sein.

So spricht die edle Rasse: Ich tue dies und das, weil ich es mir schuldig bin.

Wenn ich das Gegenwärtige nicht so liebte, wenn ich diese Liebe nicht hätte wie einen großen und sicheren Fallschirm, ich wäre längst ins Bodenlose gefallen.

Ukas Durch Anschlag mach ich euch bekannt: Heut ist kein Fest im deutschen Land. Drum sei der Tag für alle Zeit zum Nichtfest-Feiertag geweiht.

Niemand war und ist mir eine empfindlichere Geißel als der richterlich geartete Mitmensch. Er ist für mich der personifizierte böse Blick.

Gelehrte Müßt ihr euch immer prügeln, wenn ihr aufs Forum wandelt, Könnt ihr euch nicht beflügeln, wenn ihr von Großem handelt?

Eine Hauptsache bei vielem ist, daß stets der Anschein äußerster Wichtigkeit erweckt wird.

Die Sonne grübelt nicht, warum sie scheine. Sie scheint. Ihr Leben, Künstler, sei das Deine.

Ich will den Menschen nicht schiffbrüchig sehen, aber er sollte dessen bewußt sein, daß er auf einem Meere fährt.

Jeden Tag seines Lebens eine feine, kleine Bemerkung einzufangen – wäre schon genug für ein ganzes Leben.

Erde, die uns dies gebracht, Sonne die es reif gemacht: Liebe Sonne, liebe Erde, Euer nie vergessen werde.

Wer in das, was von Göttlich-Geistigem heute erfahren werden kann, nur fühlend sich versenken, nicht erkennend eindringen will, gleicht dem Analphabeten, der ein Leben lang mit der Fibel unterm Kopfkissen schläft.

Möglichst viel Glück sagt man. Aber wie, wenn die höchste Glücksempfindung eines Menschen voraussetzte, der auch allertiefstes gelitten haben muß? Wenn Glücksgefühl überhaupt erst möglich wäre in einem durch Lust und Unlust gereiften Herzen?

Als ein wesentliches Merkmal der Menschen möchte ich ihre ethische und ästhetische Anspruchslosigkeit bezeichnen.

Blickt der Mensch in der Zeit zurück, so merkt er, sein Unglück war sein Glück!

Der kann von Liebe nicht reden, dem sie nimmer Verlust und Gewinn war – dem sie nie irgendwann der Sinn war von allem und jedem.

Es gibt noch eine größere Liebe als die nach dem Besitz des geliebten Gegenstandes sich sehnende: Die die geliebte Seele erlösen wollende. Und diese Liebe ist so göttlich schön, daß es nichts Schöneres auf Erden gibt.

Was ist das Erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtspostkarten.

Es ist bitter, sich sagen zu müssen, daß man zwischen 35 und 45 zu erledigen hat, was man zwischen 45 und 60 hätte sollen erledigen können.

Mancher sucht sein Leben lang Kameradschaft, aber man muß mit diesem Bedürfnis nicht zu Frauen gehen. Sie wollen, eine jede, ausschließlich geliebt sein.

Wann wird dies sein? Wann wird das sein? – Wann wir es uns verdient haben werden.

Manchen Menschen würden Weihnachtskataloge, Zeitungsannoncen, und zu Mundwassern, Seife, Thermosflaschen, Petroleumöfen usw. beigepackte Erklärungen und Referate für lebenslängliche Lektüre völlig genügen.

Wir Deutschen leiden alle an der Hypochondrie der „Verpflichtungen“. Sie macht unsere Stärke und unsere Schwäche aus.

Niemand ist zu gut für diese Welt. Menschen, von denen dies gesagt wird, sind vielmehr in irgend einem Betrachte nicht gut genug.

Schönheit ist empfundener Rhythmus. Rhythmus der Wellen, durch die uns alles Außen vermittelt wird. Oder auch: Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.