Zitate von Christian Morgenstern
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Wenn dich die Menschen nicht absichtlich verwunden, so tun sie’s gewiß aus Ungeschicklichkeit.
Man muß Gott schon in Zwei teilen, wenn seine schönste Empfindung, die Liebe, nicht allerletzten Endes Selbst-Liebe sein soll.
Eure Todesstrafe, noch mehr Euer Kriegführen, Ihr Menschen, ist nicht mehr und nicht weniger als – Selbstmord.
Wohin können wir denn sterben, wenn nicht in immer höheres, größeres – Leben hinein!
Möchten sich doch alle darüber klar werden, daß wir außer Männchen und Weibchen auch noch Menschen sind.
Mein nächstes Buch soll „Auferstehung“ heißen, wenn mir noch eine Auferstehung beschieden sein sollte, im größten Sinne.
Alle Geheimnisse liegen in vollkommener Offenheit vor uns. Nur wir stufen uns gegen sie ab, vom Stein bis zum Seher. Es gibt kein Geheimnis an sich, es gibt nur Uneingeweihte aller Grade.
Man müßte sein Ich nicht immer mit sich identifizieren, sondern wie eine Mutter ihr Kind behandeln.
Oh, wer um alle Rosen wüsste, die rings in stillen Gärten stehen. Oh, wer um alle wüsste, müsste wie im Rausch durchs Leben gehen.
Inmitten unzähligem Hin- und Herreden der Einzelnen wächst still und groß das ewige Weisheitsgut der Menschen weiter.
Jeder kann von Christus etwas fortnehmen. Verstehen aber wird ihn alle fünfzig Jahre – vielleicht – Einer.
Die Sitte des In-den-April-Schickens ist bei uns lange nicht genug verbreitet und geübt. Der erste April müßte ein wahrer Festtag für die Nation werden, ein Dies Saturnalius – in jedem Falle ein liebenswürdigerer Feiertag als mancher offizielle.
Sieh, das ist Lebenskunst: Vom schweren Wahn des Lebens sich befrein, fein hinzulächeln übers große Muß.
An jeden guten Gedanken, jede gute Empfindung einen Stein hängen, sie verankern. Damit zusammenhängend: Seßhaft werden, Tempobändigung, Tempobeherrschung.
Mit allem Großen ist es wie mit dem Sturm. Der Schwache verflucht ihn mit jedem Atemzug, der Starke stellt sich mit Lust dahin, wo’s am heftigsten weht.
Ich weiß, warum ich mich verbeiße ins bunte Schürzentuch der Welt, (…) denn sieh: Ich glaube nichts von allen den Geisterwelten, die du nennst.
Die Hälfte allen Unglücks – vom gröbsten bis zum feinsten – geht auf Unwissenheit oder Denkfehler zurück, gewollte oder ungewollte Ungeistigkeit.
Wer die Welt nicht von Kind auf gewohnt wäre, müßte über ihr den Verstand verlieren. Das Wunder eines einzigen Baumes würde genügen, ihn zu vernichten.
Der Steig war steil, doch wagten wir’s gemeinsam… Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand.
Arithmetische Progression Ein Paar Zeitungen zwei Parteizungen. Zwei Paar Zeitungen vier Parteizungen usw.
Die meisten Menschen verdunsten einem, wie ein Wassertropfen in der flachen Hand.
Man kann wohl sagen, daß das Geschlecht zwei Drittel aller möglichen Geistigkeit auffrißt.
In dem lateinischen Wörtchen „duo“ ist nur das deutsche Du sichtbar enthalten; das „Ich“ ruht unsichtbar und doch ewig lebendig darin, wie unter Menschen das geliebte Ich im Herzen des liebenden Du.
Die Entwickelung der Fahrzeuge verfolgt langsam denselben Weg wie die religiöse Entwickelung. Der Vorspann verschwindet, die bewegende Kraft wird ins Innere selbst verlegt.
Alle wahrhaft großen Dichtungen sind Variationen zum Schicksalsliede, seien es Maestosi, Allegri oder Scherzi.
A. Was, was ist’s, was den Menschen vom Christus trennt; sagen Sie mir das, können Sie mir das sagen? B. Ja, das kann ich. Der Philister in ihm!
Gott wäre etwas gar Erbärmliches, wenn er sich in einem Menschenkopfe begreifen könnte.
Die meisten Menschen sprechen nicht, zitieren nur. Man könnte ruhig fast alles, was sie sagen, in Anführungsstriche setzen; denn es ist überkommen, nicht im Augenblick des Entstehens geboren.
Mit keinem Köder fischt Mephisto so glücklich, als mit allem, was im Engeren und Weiteren unter den Begriff des Schlagworts fällt.
Wer das Wunder nicht als das Primäre erkennt, leugnet damit die Welt, wie sie ist, und supponiert* ihr ein Fabrikspielzeug.
Es gibt keine Wahrheit an sich. An sich ist einer der größten Materialismen der Epoche.
Für jeden Menschen, sagt Goethe, kommt der Zeitpunkt, von dem an er wieder „ruiniert“ werden muß. So auch: für jede Kulturperiode.
Ohne Phantasie hätte die Menschheit den Mut zum Weiterexistieren längst verloren.
Wer das feine zweite Ohr für den Souffleur hat, sieht die Geschichte der Menschheit anders an.