Zitate von Christian Morgenstern
page 12
Nur wer den Menschen liebt, wird ihn verstehen. Wer ihn verachtet, ihn nicht einmal sehen.
Nur im vorbereiteten Herzen kann ein neuer Gedanke Wurzeln fassen und groß werden. Sich vorbereiten, sich zubereiten, den Acker lockern für das beste Korn, ist alles.
Der glatte Schwätzer Gänserich folgt treulich dem Gesetz der Bibel: Er spricht von keinem Menschen übel, das macht, er spricht allein von sich.
In dem Moment, wo jeder bei sich anfinge, wäre die schönste Zukunft vorweggenommen.
Den seelischen Wert einer Frau erkennst du daran, wie sie zu altern versteht und wie sie sich im Alter darstellt.
Spannung ist alles und Entladung. Und höchste Lebensweisheit seine Spannungen immer richtig zu entladen.
Ein Wiesel saß auf einem Kiesel Inmitten Bachgeriesel. Wisst ihr weshalb? Das Mondkalb verriet es mir Im Stillen: Das raffinier- te Tier tat’s um des Reimes willen.
Siehe eine Sanduhr: Da läßt sich nichts durch Rütteln und Schütteln erreichen, du mußt geduldig warten, bis der Sand, Körnlein um Körnlein, aus dem einen Trichter in den andern gelaufen ist.
Es ist eine wunderliche Empfindung, senkrecht in die Erde zu unsern Füßen hineinzudenken. Man kommt nicht weit, die Phantasie erstickt buchstäblich.
Der österreichische Dialekt ist darum so hübsch, weil die Rede beständig zwischen Sichgehenlassen und Sichzusammennehmen hin und her spielt. Er gestattet damit einen durch nichts andres ersetzbaren Reichtum der Stimmungswiedergabe.
Man sieht oft etwas hundert Mal, tausend Mal, ehe man es zum allerersten Mal wirklich sieht.
Einen Krieg beginnen heißt nichts weiter, als einen Knoten zerhauen, statt ihn aufzulösen.
Meistens ist in sechs bis acht Wörtern völlig abgemacht, und in ebensoviel Sätzen läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Ich habe nie einsehen mögen, warum mittelmäßige Menschen deshalb aufhören sollten, mittelmäßig zu sein, weil sie schreiben können.
Ich mag Worte wie gleichwohl oder immerhin gern leiden; denn sie erlauben, nach etwas Abfälligem noch eine Menge Anerkennendes zu sagen.
Ich definiere den Humor als die Betrachtungsweise des Endlichen vom Standpunkte des Unendlichen aus.
Wenn dich jemand „vollkommen versteht“, sei gewiß, daß dich niemand vollkommener mißversteht.
Da sie nur Lehrer für sechshundert Mark sich leisten können, bleiben die Völker so dumm, daß sie sich Kriege für sechzig Milliarden leisten müssen.
Unsere Wünsche sind wie kleine Kinder: je mehr man ihnen nachgibt, umso anspruchsvoller werden sie.
Die große Ruhe und der tiefe Friede sind nur bei euch, ihr lieben fernen Berge.
Ich gehe einfach den Weg, den ich vor mir rechtfertigen kann, nicht den, welchen mir irgendeine abgeschmackte Sentenz vorschreibt.
Unsere Zukunft liegt nach wie vor im – Geiste. Seien wir Imperialisten des Geistes.
Wenn der moderne Gebildete die Tiere, deren er sich als Nahrung bedient, selbst töten müßte, würde die Anzahl der Pflanzenesser ins Unermeßliche steigen.
Ich sehe auf mich selbst zurück. Unzählige Gestalten huschen schemenhaft an mir vorüber.
Der bedeutende Mensch ist ein Mensch, an dem viele andere sich klar werden. Er greift in ihr Unbewußtes und Unterbewußtes und stärkt dort das ihm Verwandte.
Sonne. Sie glüht ewig. Sie leidet unsäglich. Wir leben von ihrem Leiden. Sie verzehrt sich in ihrer Liebe Tag und Nacht. Vom Tode lebt das Leben. Ein Opfertod macht die Welt erst möglich.
Statt sehr geehrter Herr! könnte man doch viel einfacher schreiben: 5 e! Und statt hochachtungsvoll 2 o.
Die Psychologie befaßt sich mit den einzelnen Wellen des Baches. Aber hat ein Bach je aus – Wellen bestanden?
Die Menschenverachtung ist für den nachdenkenden Geist nur die erste Stufe zur Menschenliebe.
Tod ist ja kein Raub am Leben. Wir müssen? Nein, wir – wollen alle sterben! Denn endlos locken neue Morgenröten.
Wenn ich so die kleinen Dampfer die riesigen Kähne vorüber schleppen sehe, muss ich immer an den Dichter und das Publikum denken.
Demut ist Wärme. Alles redet und erschließt sich gleich ganz anders, wo ihr milder Himmel aufglänzt. Vor dem Demütigen wird die Welt sicher und vertrauend, den Demütigen empfangen, lieben und beschenken alle Dinge.
Alle Erziehung, ja alle geistige Beeinflussung beruht vornehmlich auf Bestärken und Schwächen. Man kann niemanden zu etwas bringen, der nicht schon dunkel auf dem Wege dahin ist, und niemanden von etwas abbringen, der nicht schon geneigt ist, sich ihm zu entfremden.
Ihr meßt jedem sein Maß Liebe zu: dem dreiviertel, dem zwei Viertel, dem ein Viertel, dem nichts. Davon verstehe ich nichts. Ich kann nicht messen und meine Seele ist immer da am eifrigsten, wo ich sehe, daß Eure sich spart und sperrt.
Die Zaghaftigkeit – wo Gutes gewollt wird – ist zu nichts nütze. Umgekehrt, sie ist nur eine Quelle immer weiterer Schwäche und damit immer weiterer Mißerfolge.