Elmar Schenkel Zitate
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Einst war die Zukunft, inzwischen ist auch die Vergangenheit unvorhersehbar geworden.
Weil sie der Zeit nicht habhaft werden, wollen die Menschen den Raum erobern. Die Fahrten in den Weltraum ist eine Flucht vor der Zeit.
Es gibt Tage, da folgen einem die Aphorismen wie Eisenspäne dem Magneten, es gibt Monate, da geht man taub. Woran mag es liegen? Manchmal auch auf Reisen in bestimmte Länder. Eine gewisse Muße? Muss gegen Muße, das ist das Problem.
Jemand behauptet, der Stein der Weisen sei in einem bestimmten Berg oder im Bergbau insgesamt versteckt. Der Stein der Weisen bleibt jedoch so lange ein Stein der Narren, als man ihn einem Ort zuweist, ob zu Wasser, zu Lande: er liegt immer in der Luft.
Es ist gut, über die Flüsse zu reden. Besser ist es, zu ihnen zu sprechen. Doch das Beste ist, ein Fluss zu werden.
Die Stille hat tatsächlich etwas von einem wilden Tier, das scheu ist und sich tarnt, doch es spitzt auch die Lauscher und kann gefährlich werden. Man darf die Stille nicht reizen, man muss sie anlocken.
Dass man morgens immer noch als das einigermaßen selbe Wesen aufwacht, ist schon ein Wunder. Warum bin ich nicht ein Tisch oder ein Pferd? Immer dieselben Schultern, dieselben Arme, die man im Halbschlaf wendet.
Es gibt Tage, da mache ich meinen Sprücheschrank zu. Die Küche muss ruhen. Viele Gedanken müssen auch erstmal in die Spülmaschine.
Immer auf der Suche nach dem Ghostwriter. Wer anders könnte es sein als der Zeitgeist.
Alles verändert sich dauernd; fortwährend sind wir im Übergang zu etwas Anderem. Wir leben in einer Adapter-Kultur.
Wir sind Wesen der Oberfläche. Nur die Oberfläche ist schön, nicht die Blutgefäße und die Organe darunter. So lieben wir auch die Stadtzentren und nicht die Industriegebiete. Was produziert und schafft, ist hässlich.
Die Wildnis kehrt zurück, und zwar an der Stelle, an der Technik am fortgeschrittensten ist. Am Bahndamm wächst das Unbekannte im Schatten der schnellen Züge.
Architektur, die eine Krise versinnbildlicht, die aus einer Krise geboren wurde, hat eine lange Lebensdauer. So manch einer datiert sein Leben nach den Daten von Lebenskrisen, und nicht anders geschieht es in Kulturen.
Man stelle sich ein Theater vor, in dem jeden Tag dasselbe Stück gespielt wird. Dann hat man vor Augen, was in einer Kirche passiert: nicht die Mausefalle, sondern die Messe.
Nachteil bei Demokratien: Mit ihren gewählten Herrschern kann man gleich die Wähler mithassen.
Der Mond ist… der einzige Himmelskörper, den wir im Laufe eines Lebens wandernd erreichen könnten. 384.000 Kilometer sind zu Fuß machbar,… aber viel mehr ist nicht drin bei unserer Lebensspanne.
Friedhöfe sind ein unabgeschlossenes und unendliches Projekt der Menschheit, das in die Zukunft wie tief in die Vergangenheit reicht.
Aus dem Affen wird der Mensch, zum Mensch macht sich auch der Gott. Warum wollen immer alle Mensch werden?
Je m’appelle. Mi chiamo. My name is. Menia zavut. Aber im Deutschen heßt es aktivistisch: Ich heiße. Was liegt hier vor?
Der Alltag ist voller symbolischer Erlebnisse. Allein das Überqueren einer Straße ist ein Abbild davon, wie das Leben geht.
Das Leben ist eine Überflüssigmachmaschine. Je älter man wird, desto deutlicher wird, wie und wo und wann man überflüssig geworden ist. Die große Kunst besteht darin, dieses Überflüssigwerden als Auszeichnung zu verstehen, als Geschenk.
Stärke und Schwäche Nietzsches – seine Formulierungen sind so stark, dass man immerzu versucht ist, sie aus ihrem Kontext zu lösen. Er gehört zu denen, die man nicht kennen muss, um sie zitieren zu können.
Unschärferelation: der Zugreisende wundert sich, dass die Autos in diesem Land so still stehen. Er übersieht, dass der Zug die Ursache für das Stillstehen ist.
Marcel Proust schrieb einmal, Bücher seien Grabsteine auf Verlorengegangenes, auf Erinnrungen und Gefühle. Umgekehrt ließe sich sagen: Auch Friedhöfe sind Bücher.
Das Notizbuch hypnotisiert den vorbeiziehenden Gedanken so lange, bis er sein Inkognito aufgibt.
Neulich las ich in einer Zeitung, dass man uns jetzt das Wörtchen „Wir“ verbieten sollte… [weil] das Wir-Wort einen diskriminierenden Charakter habe, nämlich für diejenigen, die von diesem Wir ausgeschlossen würden.
In der Bibel erkennen sich Adam und Eva. Bei den Griechen heißt es, du sollst dich selbst erkennen.
Die Zeit – einer der Begriffe, über die man fast alles sagen kann, wie eben über einen Unbekannten.
Die Bemühung, anders zu sein als die anderen, ist die beste Voraussetzung dafür, ihnen gleich zu werden.
Das Kind eines deutsch-asiatischen Paars: „ich bin überall Ausländer. In Asien, in Amerika, in Deutschland.“ Nach einer kurzen Pause: „Ich weiß, was ich bin. Ich bin ein Ichländer.“