Zitate von Heimito von Doderer
Ganze Sachen sind immer einfach wie die Wahrheit selbst. Nur die halben Sachen sind kompliziert.
Die Gegenwart ist nur ein kleines rennendes Lichtlein, das flackert: wahre Erhellung aber kommt stetig aus dem Vergangenen.
Die Höhe eines Lebens wird nicht erreicht, damit man sich hinaufsetzt, sondern damit man in besserer Luft weitergeht.
Sozialismus nennt man einen ungeheuren Aufwand zum Wohle der Menschheit, welcher sich selbst so restlos konsumiert, daß am Ende tatsächlich Jeder Alles, nämlich das übrig gebliebene Nichts hat.
Feierlichkeit nennt man jenen Nebel, welchen die Dummheit zu ihrem Schutze erzeugt, wenn sie in die Enge getrieben wird.
Die Ironie ist unser einziges Mittel, um bei Verlust der geistigen Spannung nicht in die Dummheit auszuarten.
Grammatik ist die Kunst des vollkommensten Ausdrucks bei geringster Auffälligkeit.
Alle Anekdoten sind Lügen. Entweichendes Leben, dem man plötzlich das letzte Schwänzchen angenagelt hat: wie im Schreck erstarrte das Ganze.
Gewohnheiten sind der Bodensatz unseres Lebens: rührt man ihn kräftig auf, dann schäumt die Lösung und wird seltsamer Weise klar.
Gerüche sind zu ertragen, auch die unangenehmen. Nur die Miefe sind erbärmlich und gefährlich.
Lügen – Wenn man mit den Lügen anfängt, bekommen sie immer längere Beine und am Schlusse stolzieren sie ganz ordentlich als Wahrheiten einher, die man selbst glaubt.
Die Treue ist der längere oder kürzere, mitunter fast wehmütige Nachhall der Liebe.
Man soll seine Eigenheiten nicht für Begabungen halten. Sie sind nicht einmal Begabungs-Pforten, sondern das Gegenteil: blinde Tore, vermauerte Bogen.
Der Schall ist das Fleisch der Sprache. Geschwätz: wenn sie den Weg allen Fleisches geht.
Dem Impotenten fehlt nicht mehr der geschlechtliche Umgang. Sondern er vermißt in unbenannter Weise eine Quelle störender Belebung.
Die wesentliche und schwerste Aufgabe unserer geistigen Existenz ist nicht, die Rätsel des Lebens zu lösen, sondern an ihnen nicht zu ermüden.
Jede Revulotion ist viel weniger Bauplatz der Zukunft als Auktion der Vergangenheit.
Selbstverständlichkeiten sind Ungeheuer, die so reglos und so lang schon neben uns schlafen, dass wir sie nicht als solche mehr wahrnehmen können.
Objektivität: Alles hat zwei Seiten. Aber erst wenn man erkennt, dass es drei sind, erfasst man die Sache.
Wer nicht ganz klein war, der kann nie ganz groß werden. Das gilt für das männliche Glied genau so wie für die persönliche Entwicklung des Menschen.
Die Prostitution ist nur eine Fatamorgana des Sexuellen für Wanderer in der Wüste der Entbehrung.
Bei den meisten Nationen bildet die Sprache das Gemeinsame. Bei den Deutschen die Rechtschreibung. Daher das Herumreiten auf dieser.
Schlechte Gerüche ärgern am meisten, wenn man sie, und ihre noch schlechtere Herkunft, bereits gut kennt.
Exzesse sind das Schlimmste nicht. Sie machen deutlich. Unsere schleichenden Übel aber nebeln allmählich ein.
Leben: Im Grunde wird uns ein fremder Hut aufgesetzt auf einen Kopf, den wir noch gar nicht haben.
Ein hoher Kleriker ist allemal ein Stück Ewigkeit auf einem beamtenhaften Untersatz.
Die Urteilsweise der meisten Menschen besteht einfach darin, dass sie ihre eigenen Ausdünstungen generalisieren.
Man hat immer mehr Feinde, als man jemals auch nur zu ahnen vermag: weil alle unsere besten Freunde zeitweis dazu gehören, wenn auch nur für kleinste Strecken.
Liebe bedeutet einer Frau die Maske vom Gesicht nehmen und mit dieser davon stürzen, ohne zu schauen, was sie verdeckt hat.
Ein Journalist ist ein Mensch, der immer etwas Wichtigeres zu tun hat und daher nie zum Wichtigen kommt.
Daß ich zum Beispiel Österreicher bin, ist mir mit einer solchen Fülle widerwärtigster Individuen gemein, daß ich es mir verbitten möchte, lediglich mit Hilfe jenes Begriffes bestimmt zu werden.