Karl Kraus Zitate
seite 5
Von meiner Stadt verlange ich: Strom, Wasser und Kanalisation. Was die Kultur anbelangt, die besitze ich bereits.
Solange das Geschlecht des Mannes der Minuend ist und das Geschlecht des Weibes der Subtrahent, geht die Rechnung übel aus: die Welt ist minus unendlich.
Pedanterie ist ein Zustand, an dem sich entweder der Mangel entschädigt oder die Fülle beruhigt. Wie Perversität ein Plus oder ein Minus ist.
Nichts da, ich bin kein Raunzer; mein Haß gegen diese Stadt ist nicht verirrte Liebe, sondern ich habe eine völlig neue Art gefunden, sie unerträglich zu finden.
Nervenpathologie: Wenn einem nichts fehlt, so heilt man ihn am besten von diesem Zustand, indem man ihm sagt, welche Krankheit er hat.
Der Unterschied zwischen der alten und der neuen Seelenkunde ist der, daß die alte über jede Abweichung von der Norm sittlich entrüstet war und die neue der Minderwertigkeit zu einem Standesbewußtsein verholfen hat.
Im Wörterbuch steht, daß „Aphrodite“ entweder die Göttin der Liebe oder ein Wurm bedeutet.
Es beweist immerhin eine gesunde Konstitution, wenn sich unter der Einwirkung der Strahlen einer Persönlichkeit die Weltanschauung zu schälen beginnt.
Wenn ein Künstler Konzessionen macht, so erreicht er nicht mehr als der Reisende, der sich im Ausland durch gebrochenes Deutsch verständlich zu machen sucht.
Die menschlichen Einrichtungen müssen erst so vollkommen werden, dass wir ungestört darüber nachdenken können, wie unvollkommen die göttlichen sind.
Wenn schon etwas geglaubt werden soll, was man nicht sieht, so würde ich immerhin die Wunder den Bazillen vorziehen.
Es ist ganz ausgeschlossen, daß, wie die Dinge heute liegen, ein wiederkehrender Goethe nicht wegen unerlaubter Reversion ausgewiesen würde.
Schmerzlichstes Abbild der Zivilisation: ein Löwe, der die Gefangenschaft gewohnt war und, der Wildnis zurückgegeben, dort auf und ab geht wie vor Gitterstäben.
Aber ein so besonderes Vergnügen ist die Enthaltung vom Weibe auch nicht, das muß ich schon sagen!
Einer, der mir Erinnerungen zu erzählen anfing, hatte dabei eine Stimme, die knarrte wie das Tor der Vergangenheit.
Ein Sittlichkeitsprozess ist die zielbewusste Entwicklung einer individuellen zur allgemeinen Unsittlichkeit, von deren düsterem Grunde sich die erwiesene Schuld des Angeklagten leuchtend abhebt.
Ich habe Gottseidank eine gesunde geistige Verdauung. Aber wenn sich meine Verdauungsprodukte selbständig machen wollen, dann wehe ihnen!
Die Huren auf der Straße benehmen sich so schlecht, dass man daraus auf das Benehmen der Bürger im Hause schließen kann.
Wie rächen sich die Zwerge An den Riesen? Sie machen sich über die Berge Oder Psychoanalysen.
Die Finnen sagen: Ohne uns gäb’s keinen Schinken! Die Journalisten sagen: Ohne uns gäb’s keine Kultur! Die Maden sagen: Ohne uns gäb’s keinen Leichnam!
Der Ästhet verhält sich zur Schönheit wie der Pornograph zur Liebe und wie der Politiker zum Leben.
Die Zeitungen haben früher das Niveau ihrer Journalisten gehabt und haben jetzt das ihrer Leser.
Der gesunde Menschenverstand sagt, daß er mit einem Künstler bis zu einem bestimmten Punkt „noch mitgeht“. Der Künstler sollte auch bis dort die Begleitung ablehnen.
Die Dorfbarbiere haben einen Apfel, den stecken sie allen Bauern ins Maul, wenn’s ans Barbieren geht. Die Zeitungen haben das Feuilleton.
Was es bedeute, hat einer gefragt, und was für Leute man heute so nennt. Man nennt, versetzt ich, prominent, die einst nicht hätten hervorgeragt.
Mit den Rechnerinnen der Liebe kommt man schwer zum Resultat. Sie fürchten entweder, daß eins und eins null gibt, oder hoffen, daß es drei geben wird.
Es ist nicht wahr, daß man ohne eine Frau nicht leben kann. Man kann bloß ohne eine Frau nicht gelebt haben.
Die Menschheit wirtschaftet drauf los; sie braucht ihr geistiges Kapital für ihre Erfindungen auf und behält nichts für deren Betrieb.