Kurt Tucholsky Zitate
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Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
Man wirft viel zu wenig fort, viel zu wenig – gut acht Zehntel aller Bücher zum Beispiel kann man getrost vor der Lektüre fortwerfen, ein Zehntel nach der Lektüre.
Des Menschen Lage ist so, daß er im allgemeinen dankbar sein muß, wenn sein Leben langweilig ist.
Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.
Als Gott am sechsten Schöpfungstage alles ansah, was er gemacht hatte, war zwar alles gut, aber dafür war auch die Familie noch nicht da.
Humor ruht oft in der Veranlagung von Menschen, die kalt bleiben, wo die Masse tobt, und die dort erregt sind, wo die meisten „nichts dabei finden“.
Es ist ein großer Irrtum, daß Menschheits-Probleme „gelöst“ werden. Sie werden von einer gelangweilten Menschheit liegen gelassen.
Die Engländer wollen etwas zum Lesen, die Franzosen etwas zum Schmecken, die Deutschen etwas zum Nachdenken.
Der Titel soll den Träger immer an seine eigene Herrlichkeit gemahnen. Er ist im tiefsten Sinne undemokratisch.
Es gibt für einen Menschen nicht nur eine richtige Art, zu reisen; es gibt einige, die gerade ihm adäquater sind als andere.
Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, daß er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.
(Aus den Sprüchen des Pfarrers Otto): „Die Frauen sind die Holzwolle in der Glaskiste des Lebens.“
Armut ist eben gewiß kein großer Glanz von innen, wie Vater Rilke das nannte, sondern eine einzige Sauerei.
Im übrigen ist Militärjustiz in allen Fällen vom Übel: nicht nur, weil sie vom Militär kommt, sondern weil sie sich als Justiz gibt, was sie niemals sein kann.
Geschwister sind wie Indianer: Entweder sie sind auf dem Kriegspfad, oder sie rauchen die Friedenspfeife.
Ich mag Männer nicht leiden, die ihre Frauen zu Heiligen machen – die fallen dann herunter von dem Sockel, dann geht gewöhnlich etwas kaputt.
Dieses Deutschtum ist ein unerträgliches, und sein Wert besteht nur in der Einbildung.
Wenn man einen Menschen richtig beurteilen will, so frage man sich immer: Möchtest du den zum Vorgesetzten haben?
Fix und fertig liegen die Phrasen in den Gehirnfächern, ein kleiner Anlaß, ein Kurzschluß der Gedanken, und heraus flitzt der Funke der Dummheit.
Was aber machte der Mann, der aus Deutschland stammte, zuallererst? Er machte sich wichtig.
Den meisten Leuten sollte man in ihr Wappen schreiben: Wann eigentlich, wenn nicht jetzt?
Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
Die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufgeregter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen; die frömmer’n geh’n außerdem noch in die Synagoge.
Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.
Subordiniert – das ist die schlechte Arbeit von gestern. Koordiniert – das ist die gute Arbeit von morgen.
Wenn ein Mensch ein Loch sieht, hat er das Bestreben, es auszufüllen. Dabei fällt er meistens hinein.
„Man muß sich“, sagte er, „die Zelle weit träumen, in die man eingesperrt wird. Sonst hält man es nicht aus. […]“
Kunst, Niveau, Anständigkeit, Gesinnung – es ist nicht leicht: Daß es aber mit Geld allein nicht zu machen ist, darauf kann man sich verlassen.
Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: Eine, wenn’s ihm gut geht, und eine, wenn’s ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.
Juristerei ist keine Wissenschaft. Sie ist bestenfalls ein Handwerk. Aber Richten und Entscheiden ist oft mehr: das ist eine Kunst. – Das Recht in Goethes Faust, in: Die Schaubühne Nr. 32, 14. August 1913, S. 775.
Es gibt, um eine Bureaukratie zu säubern, nur eines. Jenes eine Wort, das ich nicht hierhersetzen möchte, weil es für die Herrschenden seinen Schauer verloren hat. Dieses Wort bedeutet: Umwälzung. Generalreinigung. Aufräumung. Lüftung.
Wer inbrünstig haßt, muß einmal sehr geliebt haben. Wer die Welt verneinen will, muß umarmt haben, was er nun verbrennt.
Nur wenige Menschen vermögen das, was sie erleben, geschichtlich richtig zu sehn, und ganz und gar kanns keiner.