Zitate von Rudolf von Jhering
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Es enthält einen Beweis der politischen Unreife oder Verwilderung eines Volkes, wenn es den Inhabern der höchsten Gewalt die Ehrfurcht versagt, und nur der Unverstand kann darin eine Bestätigung des Freiheitsgefühls erblicken, der richtige Ausdruck dafür ist politische Lümmelei.

Nicht der Egoismus als solcher ist unsittlich – sondern nur das Uebermass desselben.

Nicht das Denken, sondern das Leiden enthält den wirksamsten Impuls des gesellschaftlichen Fortschritts.

Die Kraft eines Volkes ist gleichbedeutend mit der Kraft seines Rechtsgefühls, Pflege des nationalen Rechtsgefühls ist Pflege der Gesundheit und Kraft des Staats.

Das Ergebnis einer jeden echten Kritik befestigt, indem sie die Herrschaft der falschen Autorität stürzt, die Macht der wahren.

Gewalt und List sind zwei Zwillingsschwestern, die überall nebeneinander auftreten, wo das Recht noch nicht das seinige getan.

Man kann täglich Klagen vernehmen über Mißstände und Ausartungen des gesellschaftlichen Lebens, in der Verdammung desselben ist jeder einverstanden, aber kaum einem kommt der Gedanke, daß er damit sich selber anklagt. […]

Alle Regeln und Formen der Höflichkeit enthalten die Verkörperung eines nach Ausdruck ringenden Innerlichen.

Es ist unsere eigene Schuld, wenn wir die Lehren der Geschichte erst verstehen, nachdem es zu spät ist; an ihr liegt es nicht, dass wir sie nicht rechtzeitig erfahren, denn sie predigt dieselben jederzeit laut und vernehmlich.

In Wahrheit beruht die Produktivität des Kritikers in der Wirkung seiner Kritik auf den Kritisierten.

Das Wissen läßt sich erzwingen, der Charakter nicht – es gibt keine Einrichtung, welche die Parteilichkeit des Richters zur Sache der Unmöglichkeit macht.

Erbgang ist die Bedingung jedes menschlichen Fortschritts, Erbgang im kulturhistorischen Sinn bedeutet: der Nachfolger arbeitet mit den Erfahrungen, dem geistigen und ethischen Kapital seines Vorgängers – die Geschichte ist das Erbrecht im Leben der Menschheit.

So wie das Infusorium ausschließlich sich selbst lebend eine Welt baut, so baut der Egoismus Gesellschaft und Staat.

So wenig wie die Arbeit schändet, ebensowenig die Annahme eines Lohnes für die Berufsarbeit. Etwas Unehrenhaftes pflegen wir nur darin zu finden, wenn jemand für eine Dienstleistung, die für ihn keine Berufsarbeit bildet, sich einen Lohn zahlen läßt.

Der Mensch verkrüppelt in der Einsamkeit, der richtige, volle, gesunde Mensch ist nur der Mensch in der Gesellschaft.

Das Motiv aller Umgangsformen ist die Rücksicht auf andere. Es kann nicht ausbleiben, daß diese für die gesamte Lebensanschauung des Menschen, für die sittliche Gesinnung ihre Früchte trägt.

Ehre ist der Rechtswert der Person, sie hat die rechtliche Anerkennung des Menschen als Person zur Voraussetzung.

Unter Takt verstehen wir den sicheren Treffer des Gefühls in Dingen des Anstandes, er bezeichnet also eine Potenzierung des Schicklichkeits- oder Anstandsgefühl.

Ein einziger Gedanke geht durch die ganze Schöpfung hindurch: Selbsterhaltung alles Geschaffenen, das Anklammern alles Daseienden an das Dasein. Dies beginnt bei der toten Materie und endet mit dem Sittlichen.

Die List ist die gebotene Waffe des Schwachen im Kampfe mit der Übermacht, und auch die letztere verschmäht sie nicht, um leichter zum Ziele zu kommen.

Dem Satz: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ steht mit gleicher Wahrheit der andere gegenüber: „Im Kampfe sollst du dein Recht finden“.

Recht ist unausgesetzte Arbeit und zwar nicht bloß der Staatsgewalt, sondern des ganzen Volkes. Jeder Einzelne, der in die Lage kommt, sein Recht behaupten zu müssen, übernimmt an dieser nationalen Arbeit seinen Anteil, trägt sein Scherflein bei zur Verwirklichung der Rechtsidee auf Erden.

Der Zweck der Fristung des Lebens trieb das Vermögen hervor – ohne Vermögen keine gesicherte Zukunft des Lebens; der Zweck beider zusammen treibt zum Recht – ohne Recht keine Sicherung des Lebens und Vermögens.

Heutzutage kann der Welt so leicht kein Genie verlorengehen; wo es auch auftaucht, wird es bemerkt und an diejenige Stelle geschoben, wo es seine richtige Bewertung findet, und letztere gewährt ihm zugleich sein Brot.

Die Feste bilden eins der schönsten Bande der gesellschaftlichen Verbindung der Menschheit – es ist der Jubel der Gesellschaft über das, was sie fertig gebracht hat – und sie werden die Menschheit bis ans Ende ihrer Tage begleiten.

Die Frage von den Lebensbedingungen sowohl des Individiums wie der Gesellschaft ist eine Frage der nationalen und individuellen Bildung.

Mehr noch als im Großen erprobt sich die Triebkraft des Gedankens im Kleinen, mehr als im Zentrum in der Peripherie.

Verbietet die Polizei, unreifes Obst, saures Bier zu verkaufen, warum nicht auch unreife Bücher?

In Deutschland ist alles verboten, was nicht erlaubt ist; in England ist alles erlaubt, was nicht verboten ist; in Rußland ist alles erlaubt, was verboten ist.

Die welthistorische Bedeutung und Mission Roms in ein Wort zusammengefaßt ist: die Überwindung des Nationalitätsprinzips durch den Gedanken der Universalität.

Was dem wahren Wohle der Gesellschaft nicht entspricht, ist unsittlich – Sittlich dagegen ist das gesellschaftlich Nützliche oder Notwendige.

Die Kunst, jemandem geduldig anzuhören, ihm nicht in die Rede zu fallen, und den Widerspruch seiner Behauptungen so lange bei sich zu halten, bis er ausgeredet hat, scheint nach meinen Erfahrungen noch schwieriger zu erlernen sein, als die, sich mit Abstand langweilen.

Daß die Wölfe nach Freiheit schreien, ist begreiflich. Wenn aber die Schafe in ihr Geschrei einstimmen, so beweisen sie damit nur, daß sie Schafe sind.

Das zeigt sich recht oft, daß die besten, edelsten, aufopferndsten Gefühle gerade die sind, die in unglückliche Schicksale führen.

Alle neuen, großartigen Ideen üben dieselbe Wirkung aus, es sind die Sonnenaufgänge der Geschichte. Die Mittagssonne begeistert nicht, nur die Morgensonne.

Der Grundsatz der Gesellschaft verlangt den lebendigen Austausch der Urteile und Ansichten und die fortgesetzte Selbsterziehung im Verkehr mit anderen.

Es verhält sich mit der Täuschung nicht anders wie mit der Gewalt; verboten zum Zweck der Selbsthilfe, ist sie erlaubt zum Zweck der Selbstverteidigung.

Alles Recht in der Welt ist erstritten worden, jeder wichtige Rechtssatz hat erst denen, die sich ihm widersetzten, abgerungen werden müssen, und jedes Recht, sowohl das Recht eines Volkes wie das des Einzelnen, setzt die stetige Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus.

Nur wenn wir die gewöhnliche Gestaltung der menschlichen Bedürfnisse und Zwecke zu Grunde legen, gelangen wir dazu, gewisse Dinge schlechthin als gut, andre schlechthin als schlecht zu bezeichnen.

Der Gedanke, daß der Mensch frei ist, ist schwieriger zu finden gewesen, als der, daß die Erde sich um die Sonne bewege; für ersteren läßt sich kein Kopernikus benennen.

Wer sich die Belehrungen, welche er durch seinen Gegner erhalten kann, entgehen läßt, schädigt sich selber.

Der Einsiedler versündigt sich gegen die Gesellschaft, denn er entzieht ihr die Dienste, die er im Stande wäre, ihr zu leisten.