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Jüngst sprach zu mir ein faules Holz: "Ich bin des Pfirsichstammes Sohn, Der viel der edlen Früchte trug vor mehr als tausend Jahren schon. Ich warf es lachend ins Kamin. Was tu ich mit dem leeren Wicht, Der prahlerisch zu seinem Ruhm von alter Ahnen Taten spricht?
Wilhelm MüllerHerb ist der Reue reife Frucht. Um wieviel herber muß Mißtrauen sein, der herben Reu' unreifer Vorgenuß!
Wilhelm MüllerIn dem Bach sind wenig Fische, welcher immer klar und licht. Stirn, die immer heiter lächelt, viel Gedanken hast du nicht.
Wilhelm MüllerHerr Satan, einst ein böser Christ, Ist nun geworden ein Pietist. Für fromme Sünder schickt sich's wohl, Daß sie ein frommer Teufel hol.
Wilhelm MüllerIch träumte von bunten Blumen, So wie sie wohl blühen im Mai; Ich träumte von grünen Wiesen, Von lustigem Vogelgeschrei.
Wilhelm MüllerViel Hoffnung treibt mit Jugendglühn noch oft aus greisen Lebens Schoß und macht die letzten Kräfte grün, wie an dem morschen Stamm das Moos.
Wilhelm MüllerDas Weinen ist die erste Kunst, die lächelnd uns das Leben lehrt: So lehr' es lächeln uns zuletzt, wenn es sich weinend von uns kehrt.
Wilhelm MüllerDie schwere Last Nichts ist dem Menschen so schwer zu tragen, Als eine Last von guten Tagen.
Wilhelm MüllerEin Rosenstrauß der Hoffnung vor uns tragend in der Hand, Wandern wir, der Liebe Pilger, nach dem hochgelobten Land. Lab' an seinem Duft und Schmelze unterwegs deinen Sinn, Und du schreitest ohne Schmerzen auf des Pfades Dornen hin.
Wilhelm MüllerHerz, du spielst dem armen Menschen unablässig Lug und Trug, Von der Wiege bis zum Grabe und doch hat er nie genug.
Wilhelm MüllerSchreiber, was bemühst du dich, immer gut zu schreiben? Liest dich denn ein jeder gut? Treib's, wie's alle treiben!
Wilhelm MüllerWie die Welt um ihre Achse, dreht der Mensch sich um sein Ich. Jene kreist auch um die Sonne: Mensch, die Sonne kreist um dich!
Wilhelm MüllerSag, womit ist zu vergleichen der getäuschten Liebe Pein? Frag den Garten, dessen Blumen schneien in den Frühling ein.
Wilhelm MüllerDas nenn ich mir doch Heilige! Sie beten ohne Rast und Ruh, Und wenn sie Christum kreuzigen, sie beten Kyrie dazu.
Wilhelm MüllerDie längste Hoffnung kommt doch an dasselbe Ziel, Das auch nach kurzem Lauf noch keinem wohl gefiel.
Wilhelm MüllerSollst nicht murren, sollst nicht schelten, wenn die Sommerzeit vergeht; Denn es ist das Los der Welten, alles kommt und alles geht.
Wilhelm MüllerIch will den Boden küssen, Durchdringen Eis und Schnee Mit meinen heißen Tränen, Bis ich die Erde seh.
Wilhelm Müller