Zitate von Kurt Tucholsky
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Lesen ist die Schwierigkeit, ein Land fremder Phantasie mit eigenen Gedanken zu bevölkern.
Die Bourgeoisie ist in keinem Lande sehr erfreulich. Der Nationalcharakter kann ihre spezifischen Eigenschaften mildern oder noch mehr ans Licht treten lassen.
Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.
Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.
Man sollte gar nicht glauben, wie gut man (im Jahre 1932) auch ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann.
Es ist ein schwerer Irrtum, zu glauben, daß sich das Wertvollste erhält oder daß das Wertvolle nach Jahrhunderten zu neuem Leben und endgültiger Wirkung auftaucht. Erhalten bleibt: wer am lautesten geschrien hat.
… das bitterste Weinen, das Kinder weinen können: jenes, das innerlich geweint wird und das man nicht hört.
Wesentlich für ein Kunstwerk sind Urheber und Empfänger. Was dazwischenliegt, ist ein notwendiges Übel.
Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut.
Jeder versteht nur seine eigene Poesie. Jede Zeit versteht nur ihre eigene Naturauffassung. Der ist reich, der viele hat.
Dieser Parlamentarismus, der längst seine eigene Karikatur geworden ist, erstarrt immer mehr an törichter und leerer Geschäftsroutine.
Es ist die Aufgabe des historischen Materialismus, zu zeigen, wie alles kommen muß – und wenn es nicht so kommt, zu zeigen, warum es nicht so kommen konnte.
Nichts nimmt eine Weltanschauung so übel, wie wenn man sie mit einer andern erklären will.
Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht.
Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.
Suche keine Effekte zu erzielen, die nicht in deinem Wesen liegen. Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache – da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad.
Und die Literatur hat in den sechstausend Jahren Menschheitsgeschichte immer nur eine, nämlich ihre Aufgabe gehabt: Geist in Form von geschriebenen oder gedruckten Zeilen zu verbreiten.
Die Bibel ist ein radikales Buch; die Ausführungsbestimmungen mildern nachher manches.
Wenn ich jetzt sterben müßte, würde ich sagen: Das war alles? Und: Ich habe es nicht so richtig verstanden. Und: Es war ein bißchen laut.
Die französischen Kriegerdenkmäler sind nicht weniger schauerlich als die unsern – aber nicht so aggressiv.
Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein? Und warum gibt es keine halben Löcher -?
Greulich ist nicht das Alter. Schauerlich sind nur diese geschäftigen alten Leute, die jede Eingangstür abschließen.
Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.
Wenn einem Lebenden ein Denkmal gesetzt wird, so pflegt man beide etwas spöttisch zu betrachten.
Es gibt moderne Möbel, von denen ein witziger Frankfurtammainer gesagt hat, sie seien für die Wohnung nur konstruiert, damit man sich bei Zahnarzt wie zu Hause fühle.
Erfahrungen vererben sich nicht – jeder muß sie allein machen. Jeder muß wieder von vorn anfangen.
Die obern Staatsbankbeamten sind gesetzlich verpflichtet, Goldplomben zu tragen, die für das Papiergeld haften. Dieses nennt man Golddeckung.
Merkwürdig, was dieselben zweitausend Menschen zu gleicher Zeit sein können: unsre tapfern Krieger; Mob; Volksgenossen; verhetzte Kleinbürger. Wie man eine Masse anspricht, so fühlt sie sich.
Wir hätten sollen… das ist ein nachdenkliches Wort. Wenn ich es auf meinem Gedankenklavier, der Schreibmaschine anschlage, klingt es lange nach – es ist fast wie ein Thema, das mit vielen Variationen gespielt werden kann. Wir hätten sollen…
Den meisten Leuten sollte man in ihr Wappen schreiben: Wann eigentlich, wenn nicht jetzt?
Wer die Freiheit nicht im Blut hat, wer nicht fühlt, was das ist: Freiheit – der wird sie nie erringen.
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Des Menschen Lage ist so, daß er im allgemeinen dankbar sein muß, wenn sein Leben langweilig ist.
Vorlust, Nachlust und nächtliches Zaudern – es macht so viel Spaß, darüber zu plaudern.