Zitate von Sigmund Graff
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Die Apotheker sind bemüht, ihr kaufmännisches Talent hinter ihrer wissenschaftlichen Vorbildung zu verbergen.

Bei allen Wahlen kommt es zuletzt zu einem Wettstreit der vorteilhaftesten Fotos. Man rutscht ins Schaugeschäft ab.

Die Planierraupe der Politik ist die Vereinfachung. Man vereinfacht die Dinge, um sie zu verdeutlichen oder zu verdunkeln.

Die Lust, Prozesse zu führen, nimmt in demselben Grade ab, in dem man den Wert der Zeit kennenlernt.

Der Krieg ist weniger eine Schmach der Männer, die ihn führen, als der Frauen, die ihn dulden.

Der Sport dient der Völkerversöhnung, indem er den Völkern ständig neue Zankäpfel zuwirft, an denen sie ihren Nationalismus abreagieren können.

Was zuerst geächtet werden muss, sind die gerechten Kriege: Es gibt zwar keine, aber dennoch sind sie der Grund, aus dem es immer wieder andere gibt.

Komik entsteht, wenn sich unser Verstand durch die unbegrenzten Möglichkeiten der Erscheinungswelt blamiert sieht, also durch die Aufdeckung einer Erfahrungslücke.

Der Aphorismus ist so etwas wie ein Hofnarr der Poesie. Er nähert sich der Wahrheit gern durch Sprünge und Kapriolen.

Wer eine Frau, die ihm bis zu einem gewissen Grad entgegenkommend ist, nicht in die Arme nimmt, macht sie zuverlässig zu seiner Todfeindin.

Der Karneval ist der stets missglückte Versuch des Spießers, das Unerlaubte in seine Moral einzubeziehen.

Wenn jemand ein Problem erkannt hat und nichts zur Lösung beiträgt, ist er selbst ein Teil des Problems.

Der Arzt, der Prediger, der Richter und der Politiker oder Staatsmann hätten niemals zu Brotberufen ausarten dürfen.

Misserfolge stellen sich am leichtesten ein, wenn man seinem Erfolg treu bleiben will anstatt seiner Art.

Die Geister scheiden sich daran, ob man von Gewinn oder von Profit spricht. In sozialen Staaten gibt es nur Gewinne, von denen alle profitieren.

Gäste strengen uns am wenigsten an, wenn man sie mit Dingen unterhält, für die sie kein Interesse zu heucheln brauchen.

Einer der verhängnisvollsten Irrtümer ist es, geschickte Redner für ebenso geschickte Politiker zu halten.

Neid ist etwas Hässliches. Trotzdem strahlen alle Leute, wenn sie hören, dass man sie beneidet.

Allen Moden gemeinsam ist die Beobachtung, dass ihre ersten und ihre letzten Vertreter komisch sind.

Wenn wir zwanzig sind, nehmen wir uns vor, den großen Schatz des Lebens zu entdecken. Mit vierzig geben wir es auf, danach zu suchen. Mit sechzig wissen wir, daß wir ihn mit zwanzig bereits besessen haben.

Den Satellitenstaat erkennt man daran, dass er die Gesten der Souveränität zu übertreiben pflegt.

Das Fernsehen unterhält die Leute, indem es verhindert, daß sie sich miteinander unterhalten.

Die Schönheit des Mannes ist noch nie besungen worden. Die Dichter können es nicht, weil sie Männer sind – die Dichterinnen wollen es nicht, weil sie Frauen sind.

Das Misslichste am Karneval ist, dass er im Kalender steht, d.h. abgejubelt werden muss.

Das Trugbild der Diktatur ist die unfehlbare Meinung: das der Demokratie die unabhängige Meinung.

Als Vorspeise bei Gesellschaften, die rasch in Stimmung kommen sollten, hat sich ein auflockernder kleiner Klatsch bewährt. Er sichert im Handumdrehen die Solidarität der Anwesenden.

Wenn es die Ballkunst wäre, was die Fußballanhänger begeistert, müsste jedes Trainingsspiel überlaufen und manches Meisterschaftsspiel uninteressant, wenn nicht abstoßend sein.

Es macht Liebenden nichts aus, durch Länder und Meere getrennt zu sein. Unerträglich ist für sie nur eine Wand oder eine Zimmertüre.

In der Art, mit der jemand fremden Personen vorgestellt wird, gelangt auf eine fast unmerkliche und unfassbare Weise sein gesellschaftlicher Tageskurs zum Ausdruck.

Die erotische Bedeutsamkeit des Automobils wird offenbar, wenn man darauf achtet, wie viele große und elegante Wagen von hässlichen Leuten gefahren werden.

Die meisten Freundschaften brechen sich auf dem Duzfuß das Bein. Das kommt daher, weil die Freundschaft im Gegensatz zur Liebe eine Kunst der Distanz ist.

Unter den Muskelpartien, deren Leistung der Sport bis an die Grenzen des Menschlichen hinausgeschoben hat, darf die Zunge des Rundfunkreporters nicht vergessen werden.