Zitate von Sigmund Graff
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Ungebildete Leute machen in Gesellschaft leicht dadurch auf sich aufmerksam, dass sie es mit den so genannten gebildeten Formen etwas zu genau nehmen.
Der Geizkragen macht zahllose Testamente. Sie haben für ihn den Reiz einer Geldausgabe, von der er weiß, dass er sie nie erlebt.
Humor erfordert Distanz zu uns selbst. Wenn der Egoist Humor entwickeln will, wird er sarkastisch.
Die Friedensliebe fängt damit an, dass man aufhört, von gerechten Kriegen zu sprechen.
Der Dilettant wird am schwersten erkannt, wenn er es gleichmäßig auf vielen Gebieten ist.
Die Jugend ist trotz ihrer Frechheiten schüchterner, das Greisenalter trotz seiner Würde frecher, als man glaubt.
Beim Hypochonder führen die eingebildeten Krankheiten zu einer gut ausgebildeten Gesundheit.
Eine der erstaunlichsten Erscheinungen ist, daß man sich einbildet, von abhängigen Menschen unabhängige Meinungen erwarten zu dürfen.
Im Urlaub begegnet man fast immer netten Menschen, da jeder sich bemüht, dort anders zu sein als zu Hause. Unsere Urlaubsbekannten lernen wir erst wirklich kennen, wenn sie uns ein halbes Jahr später überraschend besuchen. Es empfiehlt sich, ihnen grundsätzlich eine falsche Adresse zu geben.
Die Treue eines Tieres würde uns nicht rühren, wenn die Treue unter den Menschen häufiger wäre.
Die öffentliche Meinung gleicht einem Schloßgespenst: Niemand hat es gesehen, aber alle lassen sich von ihm tyrannisieren.
Die Politik ist ein Krippenspiel, bei dem kein Heiliger mitwirkt, aber viele Andächtige zusehen.
Viele entlarven sich im Karneval bereits in dem Moment, in dem sie in ein Kostüm schlüpfen.
Wenig ist so beschämend für uns, als wenn sich jemand plötzlich als unser Freund erweist, den wir nie im Leben dafür gehalten haben.
Zu den wenigen Vorzügen der Diktatur gehört es, dass sie den Freiheitssinn lebendig erhält.
Manche Ehen gehen an der beiderseitigen Unfähigkeit zugrunde, sich auszusprechen, sie schweigen sich tot.
Unsere Silvesterbilanz darf nicht vergessen, auch alle diejenigen Dinge in Rechnung zu stellen, die uns im abgelaufenen Jahr ebenso mißlingen konnten. Das Erreichte wird erst vor dem Hintergrund des Gefährdeten richtig bewertet.
Wer allen Menschen misstraut, pflegt am wenigsten vor sich selbst auf der Hut zu sein.
Der Freund braucht kein guter Gesellschafter zu sein. Man erkennt ihn daran, dass es auch schön ist, mit ihm zu schweigen.
Das Fernsehen ist ein Hausgast geworden, der alle anderen Hausgäste vor die Wahl stellt, sich ihm unterzuordnen oder wegzubleiben.
Jede Verbesserung ist ein Fortschritt, aber nicht jeder Fortschritt eine Verbesserung.
Die Häufigkeit des Fotografierens hat ein allgemeines Absinken der inneren Vorstellungskraft zur Folge. Fotos von wahrhaft geliebten Menschen sollten eigentlich entbehrlich sein. Das Herz, das für jemanden schlägt, bedarf keiner optischen Stütze.
Die Frauen, von denen die Männer meinen, sie seien ihnen über den Weg gelaufen, haben sich ihnen in den meisten Fällen in den Weg gestellt.
Das Beste und das Schönste einer Reise wird daheim erlebt: Teils vorher, teils nachher.
Im Fortschritt macht sich der Mensch selbst Konkurenz, denn die meisten Fortschritte zielen darauf ab, ihn soweit wie möglich zu ersetzen.
Keine Frau billigt ihrer Rivalin den Entschuldigungsgrund ‚Liebe‘ zu, sondern jede sieht bei ihr nur dieselben infamen Mittel, durch die sie, von der Liebe beschwingt, selbst zum Ziel gelangt ist.
Das Glück der Liebe: sich vor dem anderen ganz aussprechen dürfen. Das Geheimnis der Liebe: vieles unausgesprochen lassen. Beides bindet.