Zitate von Christian Morgenstern
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Was wäre wohl aus der Welt geworden, wenn alle zum Mitschaffen Aufgerufenen immer gleich „schnurstracks“ auf ihr Ziel losgegangen wären. Alle Weisheit ist langsam, alles Schaffen ist umständlich.

Tolstoi war ein Protest des höheren Menschen wider den Menschen, wie er gemeinhin heute noch ist. Tolstoi wollte nur ganz einfache, simple Dinge. Dinge, die sich eigentlich von selbst verstehen, – für jeden anständigen Menschen.

Der Mensch mag tun und leiden, was es auch sei, er besitzt immer und unveräußerlich die göttliche Würde.

Glück? Sollst du Glück haben? Wünsche ich dir auch nur eine Spur von Glück – wenn sie nicht deinen Wert erhöhte? Wert wünsche ich dir.

Sieh dir ein gut beschicktes Trabrennen an. Und du wirst merken, worauf’s ankommt, auch bei dir.

Mag sein, wir stehn an unseres Lebens Ende noch unterm Ziel – genug, der Weg ist klar!

Das Leben zeugt Blumen und Bienen. Blumen, das sind die schöpferischen Geister, und Bienen die anderen, die daraus Honig sammeln.

Wie mancher geht an Grübelnsqual zugrunde, weil er gehangen an zu vielem Munde.

Ich habe wohl auch meine Zeit an die Großartigkeit unserer Epoche der Technik geglaubt, aber jetzt fühle ich nur noch das Eine: daß sie die Erde entzaubert, indem sie alles allen gemein macht.

Alles Denken ist wesentlich optimistisch. Der vollendete Pessimist würde verstummen und – sterben.

„Leiden“ kann man an allem, aber um „krank“ zu sein, muß einen ein fremdes Etwas besitzen, muß man der Sklave seiner Krankheit geworden sein. Ich möchte den Satz aufstellen: Kein wahrhaft freier Mensch kann krank sein.

Überall dem Selbstverständlichen zum Wort verhelfen – das ist ein großes Geheimnis.

Und das Verhaßteste von allem wird einst geschehen: Man wird mir „Milderungsgründe zubilligen“. („Er war ein guter Mensch, er wollte das Beste usw.“)

Nur durch Schaden werden wir klug – Leitmotiv der gesamten Evolution. Erst durch unzählige, bis ins Unendliche wiederholte leidvolle Erfahrungen lernt sich das Individuum zum Meister über sein Leben empor. Alles ist Schule.

Ich und du, einmal groß und einmal klein geschrieben – das ist die Weltformel. Ich und Du, und ich und du.

Unter bürgerlich verstehe ich das, worin sich der Mensch bisher geborgen gefühlt hat. Bürgerlich ist vor allem unsere Sprache: Sie zu entbürgerlichen die vornehmste Aufgabe der Zukunft.

Man hat vom Schach gesagt, dass das Leben nicht lang genug dazu ist, – aber das ist ein Fehler des Lebens, nicht des Schachs.

Jeder muß seinen Mann haben, der ihm über die Schulter sieht, und dieser wieder seinen und so fort. Das ist nur gut und billig; so allein kommt der Mensch vorwärts.

Liebt das Böse – gut! Lehren tiefe Seelen. Lernt am Hasse stählen – Liebesmut.

Ich rechne nur nach Menschen, nicht nach Geschlechtern, außerdem bin ich kein Freund von Gemeinplätzen, wie etwa dem über Freundschaft und Liebe, denn ich gehe einfach den Weg, den ich vor mir rechtfertigen kann, nicht den, welchen mir irgend eine abgebrauchte Sentenz vorschreibt.

Man verliebt sich oft nur in einen Zustand des anderen, in seine Heiterkeit oder in seine Schwermut. Schwindet dieser Zustand dann, so ist damit auch der feine besondere Reiz jenes Menschen geschwunden. Daher die vielen Enttäuschungen.

Es gibt stillschweigende Voraussetzungen unter Menschen von Geist: die soll man nicht aussprechen. „Oberflächlich sein“ (oder scheinen wollen) „aus Tiefe“, das gehört hierher. Eine schwere Forderung an den Radikalismus der Jugend.

Verzeiht, wenn manchen manches hart hier trifft, mein Pfeil soll treffen, doch er trägt kein Gift.

Nichts ist für mich mehr Abbild der Welt und des Lebens als der Baum. Vor ihm würde ich täglich nachdenken, vor ihm und über ihm.

Alles würde leichter und besser werden, wenn wir in uns den Menschen nicht fortwährend und hartnäckig verdeckten.

Wie mag in einem rechten Sturm ein Baum zum Gefühl seiner selbst kommen! Wie wunderbar ist eine Birke im Sturm! Wie göttlich graziös! Wie unsagbar malerisch!

O ihr, an so viel „letztem Wissen“ Leidenden, wie seid ihr oft instinktlos im Entscheidenden!

Sie sollten gerade da, wo Sie besondere Antipathie empfinden, doppelt streng gegen sich selbst vorgehen, nicht aber Ihrer Antipathie nachlaufen wie der Student seiner Flamme.

Nichts trostloser als ein Humor, den man aus Humorlosem kitzelt. Die Welt ward zu Tode gewitzelt und trister denn je zuvor.

Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe. Lautlos schlummern Menschen, Tiere. Nur des Gipfels Gletschertruhe schüttet talwärts ihre Wasser.

Es ist wohl gerade in unserer aufgeregten Epoche mehr denn je nötig, den Blick aus den Tagesaffären hochzuheben und ihn von der Tageszeitung weg auf jene Zeitung zu richten, deren Buchstaben die Sterne sind, deren Inhalt die Liebe und deren Verfasser Gott ist.

Was tut die Blume wohl mit Gott? Sie läßt sich Gott gefallen. In der Blume, als Blume träumt er seinen schönsten Traum, da widerstrebt ihm nichts.

Ich habe noch nie eine Phantasie gehabt, die nicht eine – wenn auch noch so verborgene – Nabelschnur zur Wirklichkeit gehabt hätte.

Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.

Geduld, du ungeheures Wort! Wer dich erlebt, wer dich begreift, erlebt hinfort, begreift hinfort, wie Gottheit schafft, wie Gottheit reift.

Wir haben heute Ehrfurcht vor den Bewohnern eines Wassertropfens, aber vor dem Menschen haben wir immer noch keine Ehrfurcht.

Ich kann ungeklärte Verhältnisse einfach nicht ertragen. Warum können die Menschen nicht offen gegeneinander sein? Reine Luft zwischen uns!

Es ist schauerlich, an Toren zu rütteln, die verschlossen sind; noch schauerlicher aber, wenn sie nur aus dünnem Seelenstoff, ja, wenn sie nur aus den kühlen, harten Blicken einer Seele bestehen, die dich nicht in sich eindringen lassen will.