Zitate von Jean de La Bruyère
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Der Mann bewahrt fremde Geheimnisse besser als eigene. Die Frau bewahrt eigene Geheimnisse besser als fremde.
Wenn es ein Glück ist, von guter Herkunft zu sein, so ist es kein geringeres, so geartet zu sein, daß man nicht danach fragt, ob ihr es seid oder nicht.
Ein guter Arzt ist, wer sichere Mittel gegen bestimmte Krankheiten hat oder, falls er sie nicht besitzt, denen, die sie haben, gestattet, seine Kranken zu heilen.
Es gibt auf der Welt zwei Arten, Karriere zu machen: Entweder durch seine Strebsamkeit oder durch den Schwachsinn anderer.
Wer dahin kommt, daß man von ihm denkt, er sei nicht allzu gerieben, hat es in der Schlauheit schon weit gebracht.
Seine kleinsten Vorzüge kann man nicht schnell genug entdecken, mit seinen Gebrechen hat man es nicht so eilig.
Die meisten Menschen sind viel eher zu einer großen Anstengung als zu einer stetigen Beharrlichkeit fähig.
Um mit Anmut zu scherzen und auch bei nichtigen Gelegenheiten glückliche Einfälle zu haben, bedarf es guter Lebensart, höflicher Form und lebhaften Geistes. Solche Menschen sind schöpferisch: sie erfinden etwas aus dem Nichts.
Wenn der Geldmann seinen Coup verfehlt, sagen die Höflinge von ihm: er ist ein Bürger, ein Nichts, ein Flegel; wenn ihm der Coup gelingt, bitten sie ihn um die Hand der Tochter.
Indem wir die Seelen der großen und guten aller Zeiten lesen, lernen wir aus den Erfahrungen vergangener Jahrhunderte, wie die Leidenschaften zu mildern und zu regieren; sie führen uns zum Verständnis des Menschen der gegenwärtigen Zeit, dessen moralische Natur ewig dasselbe bleibt.
Die Extreme sind verderblich und gehen von Menschen aus; jeder Ausgleich ist gerecht und kommt von Gott.
Der Schmeichler schmeichelt nur deshalb, weil er keine hohe Meinung hat, weder von sich, noch von anderen.
Das Rednerhandwerk gleicht in einer Hinsicht dem Kriegshandwerk: Das Wagnis ist größer als in anderen Berufen, doch man macht auch rascher sein Glück.
Nichts könnte uns schneller von unseren Fehlern heilen, als wenn wir fähig wären, sie einzugestehen und sie an anderen wiederzuerkennen: In diesem angemessenen Abstand würden sie uns so erscheinen, wie sie sind, und so abstoßend wirken, wie es ihrem Wesen entspricht.
So wie es aussieht, beschränkt die Ehe den Menschen auf das Niveau, welches zu ihm paßt.
Daß gewisse Leute im Guten nicht so weit gehen, wie sie könnten, liegt an ihrer schlechten Erziehung.
Ein Mensch muß große Tugenden besitzen, um bekannt und bewundert zu werden, oder vielleicht große Laster.
Es ist schwer zu sagen, was im Zweifelsfalle besser ist: Mitleid oder Mißachtung und es ist unbekannt, was gefährlicher ist: falsche Entscheidungen treffen oder nichts tun.
Manche Frau entgeht der Koketterie durch ihre starke Liebe zu einem einzigen Mann – und gilt als Törin wegen ihrer schlechten Wahl.
Man muß es wie die anderen machen: Ein höchst bedenklicher Grundsatz, der fast immer bedeutet: so schlecht wie die anderen, sobald man mehr damit meint als jene reinen, unverbindlichen Äußerlichkeiten, die von Gewohnheit, Mode und Regeln des Anstands abhängen.
Anfang und Ende einer Liebe kündigen sich dadurch an, daß man sich scheut, mit dem anderen alleine zu sein.
Es wäre interessant zu sterben, d.h. aufzuhören Körper zu sein und nur Geist zu werden. Aber der Mensch, ungeduldig alles Neue zu ergründen, ist nur auf dies eine nicht neugierig.
Eitelkeit und übertriebenes Selbstgefühl lassen uns bei anderen einen Stolz uns gegenüber vermuten, der bisweilen vorhanden sein mag, ihnen oft aber fremd ist; ein bescheidener Mensch leidet nicht an dieser Empfindlichkeit.
Es gibt Leute, die weder auf die Vernunft noch auf guten Rat hören und freiwillig in die Irre gehen – aus Furcht, von anderen am Gängelband geführt zu werden.
Man rühmt die Großen, um zu zeigen, wie nah man ihnen stehe, selten aus Hochschätzung oder Dankbarkeit.
Man verscherzt sich alles Vertrauen im Herzen der Kinder und jede Möglichkeit, ihnen etwas zu sein, wenn man sie wegen Vergehen straft, die sie nicht begangen haben, oder auch wenn man leichte Fehler streng ahndet…
Der Feldherr und der Staatsmann schaffen ebensowenig wie der geschickteste Spieler den Glücksfall, aber sie bereiten ihn vor, suchen ihn herbeizulocken und scheinen ihn fast zu bestimmen.
Nichts bringt einen Menschen plötzlicher in Mode und zu schnellerem Ansehen als Spielen um hohe Einsätze: Das gilt für alles, vom Pair bis zum Lumpenpack.
Die Lust an der Kritik beraubt uns des Vergnügens, selbst von den schönsten Werken lebhaft ergriffen zu werden.
Es gibt Dinge, bei denen die Mittelmäßigkeit unerträglich ist: Dichtkunst, Tonkunst, Malerei und öffentliche Rede.
Gesuchter Ernst wirkt komisch; es ist, als wenn sich zwei Extreme berührten, in deren Mitte wahre Würde liegt.
Aus der Physiognomie lassen sich keine festen Regeln für die Beurteilung des menschlichen Charakters herleiten: sie gestattet Vermutungen.
Von Natur denkt jeder Mensch hoch und stolz von sich selbst, aber nur von sich selbst: die Bescheidenheit verfolgt den Zweck, daß niemand darunter leide.
Große Dinge verwundern uns und kleine entmutigen uns. Gewohnheit macht beide vertraut.
Der Ehrgeiz selbst heilt den Weisen vom Ehrgeiz: Er strebt nach so hohen Dingen, daß er sich nicht auf das beschränken kann, was er Schätze nennt, Stellen, Glücksgüter und Gunst.
Man hofft, alt zu werden, und fürchtet sich doch davor: Das heißt, man liebt das Leben und flieht den Tod.
Aller Geist der Welt zusammengenommen ist fruchtlos für den, der keinen besitzt: Er hat keinen eigenen Gedanken und ist nicht imstande, aus fremder Einsicht Nutzen zu ziehen.
Du glaubst, du hast ihn hinters Licht geführt. Wenn er sich aber nur so stellt, wer ist dann der größere Narr, er oder du?
Ich möchte fast von mir behaupten, daß ich kein Dieb oder Mörder werden könne; daß ich aber nicht eines Tages wie ein solcher bestraft werden könne, wäre eine kühne Behauptung.
Zwei ganz verschiedene Dinge behagen uns gleichermaßen: die Gewohnheit und das Neue.
Kinder haben nur die eine Sorge, die schwache Seite ihrer Lehrer und Erzieher herauszufinden, und zwar gewinnen sie hier bald eine Überlegenheit, die ihnen nicht mehr verlorengeht. Was den Erwachsenen einmal um seine Autorität gebracht hat, bleibt ein dauerndes Hindernis, sie wiederzuerlangen.
In Zeiten blühender Gesundheit zweifelt man am Dasein Gottes, wie man die Sündhaftigkeit des Umgangs mit einem losen Frauenzimmer bezweifelt. Wird man krank und plagt einen die Wassersucht, dann gibt man seine Mätresse auf und glaubt an Gott.