Zitate von Jean de La Bruyère
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Männer und Frauen stimmen in ihrem Urteil über das Verdienst einer Frau selten überein: ihre Interessen sind zu verschieden.
Der Tod, welcher der Hinfälligkeit zuvorkommt, kommt zur besseren Zeit als der, welcher ihr ein Ende setzt.
Man eilt herbei, um die Unglücklichen zu betrachten, man bildet eine Gasse oder stellt sich an die Fenster, um die Züge und die Haltungen eines Menschen zu beobachten, der zum Tode verurteilt ist und weiß, daß er sterben muß: eitle, bösartige, unmenschliche Neugierde!
Man verkürzt und erspart sich unzählige Auseinandersetzungen, wenn man von bestimmten Leuten annimmt, sie seien unfähig, vernünftig zu reden, und alles verwirft, was sie sagen, gesagt haben und sagen werden.
Wenn man geliebten Menschen Geschenke gemacht hat, so kommt, was auch geschehen mag, nie wieder eine Gelegenheit, bei der man sich seiner Wohltaten erinnern dürfte.
Man sieht Männer die höchste Gunst durch dieselben Fehler verlieren, die ihnen dazu verholfen hatten.
Es ist gut ein Philosoph zu sein; es bringt wenig Vorteil, dafür gehalten zu werden.
Ein Dummkopf ist, wer nicht einmal so viel Verstand besitzt, um ein Phantast zu sein.
Es gibt Leute, die haben die Kühnheit, bei jeder Gelegenheit ohne Ansehen der anwesenden Personen über jeden beliebigen Gegenstand zu sprechen. Brauche ich noch hinzuzufügen, daß sie durch ihre faden Reden in allen Leuten Entsetzen und Ekel hervorrufen?
Der ist reich, der mehr einnimmt, als er verbraucht; der ist arm, dessen Ausgaben die Einnahmen übersteigen.
Ein Gesandter ist ein Chamäleon, ein Proteus. Einem geschickten Spieler gleich, läßt er sich oft nichts von seiner Laune und Stimmung anmerken… Dann wieder weiß er eine Gemütsverfassung vorzutäuschen.
Lange sieht man sich noch gewohnheitsmäßig und beteuert sich mit Worten seine Liebe, wenn das Benehmen schon verrät, daß man sich nicht mehr liebt.
Wieviel Mädchen haben von ihrer großen Schönheit nichts gehabt als die Hoffnung auf eine glänzende Heirat.
Der Beweggrund allein bestimmt das Verdienstliche in den Handlungen der Menschen, und die Uneigennützigkeit drückt das Siegel der Vollkommenheit auf.
Bei manchen Leuten muß Anmaßung die Größe, Unmenschlichkeit die Festigkeit des Charakters, Arglist den Geist ersetzen.
Jedermann sagt von einem Gecken, daß er ein Geck sei, aber niemand wagt, es ihm offen zu erklären; er stirbt, ohne es zu wissen und ohne daß es ihn jemand hätte entgelten lassen.
Die Kinder würden den Vätern vielleicht weit teurer sein, sowie andrerseits die Väter ihren Kindern, wenn diese nicht den Anspruch hätten, Erben zu werden.
Wer den schlechtesten Gebrauch von seiner Zeit macht, jammert am meisten, daß sie so knapp ist.
Falsche Größe ist ungesellig und unzugänglich: Da sie ihre Schwäche fühlt, so verbirgt sie sich oder zeigt sich wenigstens nicht offen und läßt nur so viel von sich sehen, als nötig ist, um Achtung einzuflößen und nicht als das zu erscheinen, was sie in Wirklichkeit ist, einfache Kleinheit.
Wer das Gegenteil von Gerüchten, die über Ereignisse oder Personen umlaufen, annimmt, trifft oft den wahren Sachverhalt.
Ein Mensch, der eine Zeit lang das Leben eines Intriganten geführt hat, kann ohne Umtriebe nicht mehr bestehen: Jede Form des Daseins scheint ihm schal.
Es gibt nichts Niedrigeres und was den Pöbel besser bezeichnet, als in prächtigen Ausdrücken von denen zu sprechen, von welchen man vor ihrer Erhebung sehr bescheiden dachte.
Man betrügt niemals gutwillig; die Schurkerei fügt zur Lüge stets noch die Bosheit hinzu.
Welcher Mann von Talent und Verdienst muß sich nicht von seiner Überflüssigkeit überzeugen, wenn er bedenkt, daß er nach seinem Tode eine Welt zurückläßt, die seinen Verlust nicht empfindet und ihn sofort durch irgendwelchen andern ersetzt.
Was man am meisten ersehnt, erfüllt sich nicht, und wenn es eintrifft, dann nicht zu der Zeit noch unter den Umständen, wo es die größte Freude bereitet hätte.
Während die Menschen ihre Pflichten lässig erfüllen, machen sie sich ein Verdienst oder besser einen Ruhm daraus, Dinge mit Eifer und Hingabe zu tun, die sie nichts angehen und weder ihrem Stand noch ihrem Charakter angemessen sind.
Man öffnet jeden Morgen sein Geschäft und legt die Waren aus, um seine Kunden zu betrügen; und man schließt am Abend, nachdem man den ganzen Tag über betrogen hat.
Wenn Kenntnisse und Lebensklugheit sich in einer Person vereint finden, frage ich nicht nach dem Geschlecht: Ich bewundere.
Große Unwissenheit macht dogmatisch; wer nichts weiß, glaubt andere lehren zu können, was er gerade selber gelernt hat.
Die meisten Menschen bringen die schönste Zeit des Lebens damit zu, die schlimmen Zeiten noch trauriger zu machen.
Manchen Leuten fällt es leichter, unzählige Tugenden zu gewinnen, als einen einzigen Fehler abzulegen.
Es gibt für den Menschen nur drei Ereignisse: geboren werden, leben und sterben. Aber er merkt nicht, wenn er geboren wird. Er leidet, wenn er stirbt. – Und er vergisst zu leben.
Wer die Menschen gründlich erforscht und das Verkehrte in ihrem Denken, Fühlen, Geschmack und Streben erkannt hat, kommt zur Einsicht, daß ihnen Unbeständigkeit weniger schadet als Eigensinn.
Die Bescheidenheit ist dem Verdienste, was der Schatten den Gestalten eines Gemäldes; sie gibt ihm Kraft und Ausdruck.
Man muß einzig danach trachten, richtig zu denken und zu sprechen, ohne die anderen für unseren Geschmack und unsere Ansichten gewinnen zu wollen; denn dies ginge über unsere Kraft.