Zitate von Hermann Bahr
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Das sind die Stufen der Erkenntnis: das Leben ein Zweck, das Leben ein Leid, das Leben ein Traum, das Leben ein Ulk, das Leben ein Spiel, das Leben ein Gottesdienst!

Auch mir gilt es für ausgemacht, daß Politik etwas ist, worauf sich kein anständiger Mensch einlassen kann, ohne innerlich beschädigt zu werden.

Und merkwürdig sei, daß gerade – je universaler die Weltgemeinschafts- und Verbrüderungsgefühle werden, welche in den letzten Jahren viele Autoren von sich aussagen, desto exklusiver die Form und die Sprache wird, in der sie es tun, bald versteht sie nur mehr ein ganz kleiner Kreis von Eingeweihten.

Denn es scheint, daß der Mensch, was er mit Augen sieht, erst dann erblickt, wenn es ihm vorgemalt wird.

Durch die Sprache hat sich der Urmensch von den Schrecken der Erscheinungen befreit, sobald das Wort sie fixiert hatte, waren sie gleich nicht mehr so fürchterlich.

Es hilft uns nichts, das Böse zu verneinen; gegen das Böse hilft uns nur, die Welt so mit Gutem anzufüllen, daß schließlich das Böse keinen Platz mehr hat.

Alles, was wir lesen, sagt uns immer nur so viel, als wir schon selber wissen, denn über alles, wofür wir noch nicht reif sind, lesen wir hinweg, auch beim besten Willen: Bücher können uns eigentlich nur Hebammen sein.

Lästige Wahrheiten, vor denen man zuerst erschrickt, wird man am besten los, indem man sie gelassen ausspricht. Daher auch der alte Brauch, Gefahren, Schäden, Übel jeder Art zu „besprechen“.

Das Unglück ist, daß man in den deutschen Zeitungen (aller Parteien!) stets das Gegenteil der deutschen Meinung liest und vom Deutschen selbst, sobald er politisiert, das Gegenteil seiner eigenen Meinung hört.

Herr bleibt auch als Knecht der Herr, der Gemeine bleibt gemein, äußeres Schicksal kann der inneren Bestimmung nichts anhaben.

Nein, Import ist der Nationalismus nirgends, aber überall entsteht Nationalismus erst durch Import, nämlich als Antwort auf Import, als Alarmsignal, wenn sich der Geist eines Volkes durch Import fremder Geistesart bedroht fühlt. Nationalismus ist immer zunächst ein Hilferuf.

Es scheint gar nicht darauf anzukommen, was einer sagt, sondern nur wie, gar nicht auf den Gehalt, sondern nur auf die Gewalt des Sagens.

Unser Unterricht besteht ja darin, uns das Fragen abzugewöhnen, durch Antworten, mit denen wir nichts anfangen können.

Wer berufen ist, hat Angst, wenn seine Stunde schlägt, denn er weiß, welches Opfer sie von ihm verlangt: das Opfer seiner Person um seiner Sache willen.

Das Leben draußen ist ganz dasselbe geblieben, das Leben bleibt immer dasselbe, nur der Mensch ändert sich mit den Jahren, er wird um so besser, je mehr er durchgebraten wird.

Es ist sehr schwer, aus der Ferne der Stimme eines einzelnen anzuhören, wie weit sie in seinem eigenen Land trägt.

Ein charmantes Kompliment ist ein geglückter Seiltanz zwischen Wahrheit und Übertreibung.

Die ganze Geistesgeschichte kommt einem wirklich zuweilen wie eine große Tombola vor; aber am nächsten Tag freilich wieder wie eine einzige prachtvolle Fuge.

Aber wer älter wird, verliert die schwächende Furcht, banal zu werden. Die paar Wahrheiten, von denen die Menschheit lebt, sind in ihrer eisgrauen Ehrwürdigkeit wirklich schon recht langweilig geworden. Aber es haben sich halt bisher noch keine besseren gefunden.

Genie besteht immer darin, dass einem etwas Selbstverständliches zum erstenmal einfällt.

Wir trommeln nur immer wieder aus, was wir alles können, was wir alles leisten, aber die Welt erfährt nie, was wir sind.

Doch einen Menschen hinzunehmen, und freudig, nicht mit einem duldsamen Achselzucken bloß, sondern mit der verstehenden Kraft immer bereiter, niemals eifernder Liebe, das ist fast übermenschlich.

Wer so viel Hass, Neid, Verleumdung, Wut, Liebe, Bewunderung und Streit erntete wie Karl May, verdiente es schon um dieser Kraft willen, gehört zu werden.

Jedermann hat das Gefühl, daß es so nicht weiter gehen kann, daß irgend etwas geschehen muß, niemand hat ein Gefühl, was er zu tun hat, oder auch nur, daß er selber überhaupt dabei mitzutun hat. Alle warten nur. Sie warten ins Ungewisse hinein. Sie haben die Herrschaft über ihr Schicksal verloren.

Wenn die Franzosen sagen, es stehe schon alles im Balzac, so können wir alles schon in Goethe finden, unsere ganze Vergangenheit und auch unsere Zukunft, wenn wir überhaupt noch eine haben, enthält er. Aber es machen die Franzosen ebenso wenig Gebrauch von Balzac wie wir von Goethe.

Deutschland ist nicht nur materiell im Zustand des Ausverkaufs; wir stehen auch mitten in einem schrecklichen Ausverkauf des deutschen Idealismus.

Denn mit Friedensliebe um jeden Preis, der keine Tatkraft zur Seite steht, kommt man nicht durch, jedenfalls schickt sie sich nicht für eine Großmacht, sondern höchstens für einen Vasallenstaat, wo man nichts weiter verlangt als ein knechtisches Stilleben.

Im übrigen aber wird China Motto werden und eine ungeheure Mittelmäßigkeit dem deutschen Leben das Gepräge geben.

Allem Lebendigen ist auch wieder eine Sehnsucht über sich hinaus, ein verwegener Drang, seiner Grenzen zu spotten, eine Lust nach dem Verbotenen beigemischt.

Wer falsche Ideen im Bewußtsein hat, die ohne ein Korrelat in der Gegenwart nur Denkmäler längst überwundener Vergangenheit sind, der hat – genau genommen – in der Gegenwart gar keine Existenz.

Wenn ein Mensch immer nur bemerkt, was da ist, und nie das Werdende, so kann er nicht einmal ein leidlicher Politiker sein.

Weltanschauung ist eine Summe von Ideen, die das Bewußtsein einer Zeit erfüllen und, keinem beweisbar, für sie dennoch eine unerschütterliche Gewißheit besitzen.

… wie viele Menschen sich, solange man ihre Selbstsucht ungestört läßt, jeder unnötigen Gemeinheit enthalten, wie sehr die meisten ihre Natur mäßigen.

Ein gewisses Maß an Unkenntnis voneinander ist die Voraussetzung dafür, daß zwei Menschen Freunde bleiben. (Sehen Sie, für Jagdfreunde gilt das besonders. Damit wir unsere Geheimnisse bewahren, haben wir sogar eine geheimnisvolle Sprache entwickelt – das Jägerlatein.)

Eine neue Generation kündigt sich immer dadurch an, daß sie glaubt, auf irgendeinem Gebiet eine neue Wahrheit entdeckt zu haben.

Wohin man blickt, findet man bei den Sozialreformen nichts als Unklarheiten, Halbheiten, große Worte, Unfruchtbarkeit und Sackgassenvorschläge.

Denn an keine Formel, auch an die jüngste nicht, ist die unendliche Entwicklung menschlicher Kultur gebunden.