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Nun hat aber die Gnade Gottes den Menschen, der sich auf die Vernunft stützt, erschaffen, damit er in der Erkenntnis des Guten und Bösen Gerechtigkeit wirke und aus dieser Erkenntnis heraus das Gute erstrebe und das Böse von sich werfe.
Hildegard von BingenWie groß ist die Torheit in dem Menschen, der nicht sich selbst bessert. O Mensch, warum schläfst du und hast an den guten Werken, die vor Gott wie eine Symphonie erklingen, keinen Geschmack?
Hildegard von BingenDie ganze Natur sollte dem Menschen zur Verfügung stehen, auf daß er mit ihr wirke, weil ja der Mensch ohne sie weder leben noch bestehen kann. Aber mißbraucht der Mensch seine Stellung zu bösen Handlungen, so veranlaßt Gottes Gericht die Geschöpfe, ihn zu bestrafen.
Hildegard von BingenDer Mensch hat nicht die Macht, von Gott zu sprechen wie von der menschlichen Natur des Menschen und wie von der Farbe eines von Menschenhand geschaffenen Werkes.
Hildegard von BingenDie gesamte Schöpfung, die Gott in der Höhe wie in den Tiefen gestaltet hat, lenkte er zum Nutzen des Menschen. Und wie die Geschöpfe dem Menschen für seine leiblichen Bedürfnisse zu dienen haben, so sind sie auch nicht weniger zum Heil seiner Seele bestimmt.
Hildegard von BingenWer immer Erkenntnis im Heiligen Geist und die Flügel des Glaubens besitzt, übergehe daher meine Mahnungen nicht, sondern sein Herz verkoste sie und nehme sie lebend entgegen.
Hildegard von BingenDaher soll kein Mensch, der etwas Gutes erreichen will, sich selbst sein Verderben vorhalten. Ist Gott doch das höchste Gut und läßt keine gute Tat ohne ihren Lohn.
Hildegard von BingenDie Enthaltsamkeit nimmt aus dem Menschen das Maß, auf daß ihrem Leib nichts fehle, daß er aber auch nicht zu üppig werde.
Hildegard von BingenVon nun an steht uns wieder unsere Heimat offen. In der Menschwerdung hat Gott sein tiefstes Geheimnis offenkundig gemacht. Gott ward Mensch und machte den Menschen zu seinem Tempel. Gottes Sohn wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott.
Hildegard von BingenAuch in den Geschlechtsteilen des Menschen blüht die Vernunft, sodaß ein Mensch weiß, was er zu tun und lassen hat. Daher hat er Genuß an diesem Werk.
Hildegard von BingenMagen und Blase des Menschen nimmt Alles auf, womit er sich nährt. Wenn diese beiden zu viel Speisen und Getränke bekommen, verursachen sie im ganzen Leibe einen Sturm der bösen Säfte, wie die Elemente nach Art des Menschen.
Hildegard von BingenIch, die Liebe, bin aller Grüne ein milder Hauch, indem ich Blüte und Frucht aller Tugendkraft hervorbringe und sie in den Gesinnungen der Menschen festlege und aufbaue.
Hildegard von BingenWas immer ich beginne, ich halte es durch, ich bleibe beharrlich treu und vernichte niemanden.
Hildegard von BingenNun höre du, o glücklicher Mensch: Gott hat dich nicht geschaffen, daß du ganz zugrunde gehst. Schaue vielmehr eifrig auf ihn, und du wirst in Ewigkeit leben.
Hildegard von BingenSowohl des Menschen Körper als auch seine Taten können erblickt werden. Vielmehr aber liegt inwendig in ihm, was keiner sieht und keiner kennt.
Hildegard von BingenOhne die Frau könnte der Mann nicht Mann heißen, ohne Mann könnte die Frau nicht Frau genannt werden.
Hildegard von BingenAls Gott dem Menschen ins Angesicht schaute, gefiel er Ihm sehr gut. Gott hat alle Dinge der Welt so eingerichtet, daß eins auf das andere Rücksicht nehme.
Hildegard von BingenDu führst meinen Geist ins Weite, wehest Weisheit ins Leben und mit der Weisheit die Freude.
Hildegard von BingenGott hat die Welt aus den vier Elementen so zusammengefügt, daß keines von einem anderen getrennt werden kann. Denn die Welt könnte nicht bestehen, wenn eines vom andern getrennt werden könnte.
Hildegard von BingenIch strecke meine Hände zu Gott aus, daß er mich halte, so wie die Feder, frei von aller Schwere, vom Winde getragen fliegt.
Hildegard von BingenDie Seele ist ein Hauch, der zum Guten strebt, das Fleisch aber neigt zur Sünde.
Hildegard von BingenDie Macht der Seele kann man in den Augen des Menschen sehen, wenn seine Augen klar, hell und durchsichtig sind, weil die Seele mit Macht im Körper wohnt, um recht viele Werke in ihm zu vollbringen. Die Augen des Menschen sind nämlich die Fenster der Seele.
Hildegard von BingenGott kann nicht durchsucht und durchsiebt werden nach Menschenart, weil in Gott nichts ist, was nicht Gott ist.
Hildegard von BingenDas Firmament ist zu vergleichen mit dem Haupt des Menschen, die Sonne, der Mond und die Sterne mit den Augen, die Luft mit dem Gehörsinn, der Tau mit dem Geschmackssinn, die Seiten der Welt mit den Armen und dem Tastsinn.
Hildegard von BingenFalle nicht in den Abgrund des Trübsinns, sondern bete und vertraue, daß Gott dich nicht verlasse, und bald wird dir zu deiner Befreiung die Morgenröte aufgehen.
Hildegard von BingenPreis sei euch, heilige Engel, Hüter der Völker, deren Gebilde in eurem Antlitz sich spiegelt, Erzengel euch, die ihr die Seelen der Heiligen traget empor.
Hildegard von BingenHüte dich, o Mensch, höher emporzusteigen, als deine Kraft dich zu tragen vermag.
Hildegard von BingenWarum wird Gott Vater genannt, wenn nicht deshalb, daß seine Kinder ihn anrufen?
Hildegard von BingenDie ganze Welt schuf Gott. Und er ließ zu, daß auch der Mensch sich seine Welt baue. Denn die Menschen wirken und gestalten und befehlen. Sie schaffen an den Geschöpfen und bilden an diesem Vorbild auch anderes nach ihrem Willen, ohne ihm jedoch einen Geist geben zu können.
Hildegard von BingenDenn ich bin der lebendige Hauch, den Gott in den trockenen Lehm entsandte. Deshalb sollte ich Gott kennen und ihn spüren.
Hildegard von BingenDer Wein heilt und erfreut den Menschen mit seiner wohltuenden Wärme und großen Kraft.
Hildegard von BingenSolange Körper und Seele miteinander zu leben haben, tragen sie einen gewaltigen Konflikt miteinander aus, da die Seele leidet, wo immer das Fleisch an Sünden ergötzt wird.
Hildegard von BingenDu mußt dich mit aller Herzenskraft sammeln, auf eines konzentrieren, damit du nicht dieses dein Herz an die Wechselhaftigkeit rastloser Gesinnungen gewöhnst.
Hildegard von BingenUnd weil er Gott ist, hat er die Liebe eines gütigen Vaters zu seinen Kindern. Von solcher Art ist nämlich seine liebende Herzenszuneigung zu den Menschen, daß er seinen Sohn ans Kreuz schickte.
Hildegard von BingenDas Firmament ist der Thron aller Schönheit, wie auch der Mensch seinen Thron hat, die Erde nämlich.
Hildegard von BingenHüte dich, so zu tun, als stamme das Gute - im Geiste oder im Werk - von dir. Schreibe es vielmehr Gott zu, von dem alle Kräfte ausgehen wie die Funken vom Feuer.
Hildegard von BingenWann auch immer der Körper des Menschen ohne Diskretion ißt oder trinkt oder etwas anderes dieser Art verrichtet, werden die Kräfte der Seele verletzt.
Hildegard von BingenIn aller Kreatur, nämlich in den Reptilien, Vögeln, Fischen, in den Pflanzen und Fruchtbäumen liegen gewisse geheime Mysterien Gottes verborgen, die weder der Mensch noch irgendeine andere Kreatur weiß noch fühlt.
Hildegard von BingenFreu dich, denn Gott hat dich so in der Hand, daß du dich in keiner Weise auf die eigene Sicherheit zu stützen brauchst.
Hildegard von BingenDu hast Augen, damit du sehen und alles ringsum überschauen kannst. Wo du Schmutz siehst, wasche ihn ab, was dürr ist, laß grün werden, und sorge, daß deine Gewürze schmackhaft sind.
Hildegard von BingenDer Mensch hat zwei Berufungen in sich: eine ruft zum Leben, die andere zum Tod.
Hildegard von Bingen