Zitate von Karl Kraus
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Ein Paradoxon entsteht, wenn eine frühreife Erkenntnis mit dem Blödsinn ihrer Zeit zusammenprallt.
Einst hatte ein Schuster ein persönliches Verhältnis zu seinen Stiefeln; heute hat der Dichter keines zu seinen Erlebnissen.
Auch hängt noch über mancher Bauerntafel ein Klumpen Zucker, an dem sie gemeinsam lecken. Ich möchte lieber dort eingeladen sein, als ein Konzert besuchen.
Auf lautes Herzklopfen nicht Herein! zu sagen – dazu ist wahrlich die beste nicht gut genug.
Vielwisser dürften in dem Glauben leben, daß es bei der Tischlerarbeit auf die Gewinnung von Hobelspänen ankommt.
Nichts da, ich bin kein Raunzer; mein Haß gegen diese Stadt ist nicht verirrte Liebe, sondern ich habe eine völlig neue Art gefunden, sie unerträglich zu finden.
Der sexuelle Mann sagt: Wenn’s nur ein Weib ist! Der erotische sagt: Wenn’s doch ein Weib wäre!
Erfahrungen sind Ersparnisse, die ein Geizhals beiseite legt. Weisheit ist eine Erbschaft, mit der ein Verschwender nicht fertig wird.
Wäre der Inhalt meiner Glossen Polemik, so müßte mich der Glaube, die Menge der Kleinen dezimieren zu können, ins Irrenhaus bringen.
Ich lasse mich durch keinen Vollbart mehr täuschen. Ich weiß schon, welches Geschlecht hier im Haus die Hosen anhat.
Da das Halten wilder Tiere gesetzlich verboten ist, und die Haustiere mir kein Vergnügen machen, so bleibe ich lieber unverheiratet.
Ich glaube, daß die Politik entweder daran krankt, daß die Ideen aus kleinen Köpfen in kleinere Herzen, oder daß sie aus kleinen Herzen in kleinere Köpfe gelangen.
Es gibt ein Zeitgefühl, das sich nicht betrügen läßt. Man kann auf Robinsons Insel gemütlicher leben als in Berlin; aber nur, solange es Berlin nicht gibt.
Sinnlichkeit weiß nichts von dem, was sie getan hat. Hysterie erinnert sich an alles, was sie nicht getan hat.
Die Finnen sagen: Ohne uns gäb’s keinen Schinken! Die Journalisten sagen: Ohne uns gäb’s keine Kultur! Die Maden sagen: Ohne uns gäb’s keinen Leichnam!
Selbstbespiegelung ist erlaubt, wenn das Selbst schön ist. Sie erwächst zur Pflicht, wenn der Spiegel gut ist.
Ein Gedanke ist nur dann echtbürtig, wenn man die Empfindung hat, als ertappe man sich bei einem Plagiat an sich selbst.
Eine Kultur ist dann fertig, wenn sie ihre Phrasen noch in einem Zustand mitschleppt, wo sie deren Inhalt schon erlebt.
Viele die am 1. August 1914 begeistert waren und Butter hatten, haben gehofft, dass am 1. August 1917 noch mehr Butter sein werde. An die Begeisterung können sie sich noch erinnern.
Eine umfassende Bildung ist eine gut dotierte Apotheke; aber es besteht keine Sicherheit, daß nicht für Schnupfen Zyankali gereicht wird.
Der Dichter aber sah einen Rosenstock. Der sollte begossen werden. Dieses nannte der Dichter „satanische Irrlehren“. Es genüge, meinte er, daß man zu dem Rosenstock täglich betet: „Heiliger Rosenstock, adelig-mysteriöses Kunstwerk der Schöpfung!“
Seine Überzeugung ging ihm über alles, sogar über sein Leben. Doch er war opfermutig, und als es dazu kam, gab er gern seine Überzeugung für sein Leben hin.
Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.
Der Scharfsinn der Polizei ist die Gabe, alle Menschen eines Diebstahls für fähig zu halten, und das Glück, daß sich die Unschuld mancher nicht erweisen läßt.