Sigmund Graff Zitate
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Wenn wir zwanzig sind, nehmen wir uns vor, den großen Schatz des Lebens zu entdecken. Mit vierzig geben wir es auf, danach zu suchen. Mit sechzig wissen wir, daß wir ihn mit zwanzig bereits besessen haben.
Der Krieg ist weniger eine Schmach der Männer, die ihn führen, als der Frauen, die ihn dulden.
Wer eine Frau, die ihm bis zu einem gewissen Grad entgegenkommend ist, nicht in die Arme nimmt, macht sie zuverlässig zu seiner Todfeindin.
Die Treue eines Tieres würde uns nicht rühren, wenn die Treue unter den Menschen häufiger wäre.
Die erotische Bedeutsamkeit des Automobils wird offenbar, wenn man darauf achtet, wie viele große und elegante Wagen von hässlichen Leuten gefahren werden.
Wenn gelegentlich etwas Altmodisches wieder Mode wird, merken wir, wie bezaubernd unsere Großmütter gewesen sein müssen.
Der Aphorismus ist so etwas wie ein Hofnarr der Poesie. Er nähert sich der Wahrheit gern durch Sprünge und Kapriolen.
Bei allen Wahlen kommt es zuletzt zu einem Wettstreit der vorteilhaftesten Fotos. Man rutscht ins Schaugeschäft ab.
Die öffentliche Meinung gleicht einem Schloßgespenst: Niemand hat es gesehen, aber alle lassen sich von ihm tyrannisieren.
Das Misslichste am Karneval ist, dass er im Kalender steht, d.h. abgejubelt werden muss.
Das Glück der Liebe: sich vor dem anderen ganz aussprechen dürfen. Das Geheimnis der Liebe: vieles unausgesprochen lassen. Beides bindet.
Keine Frau billigt ihrer Rivalin den Entschuldigungsgrund ‚Liebe‘ zu, sondern jede sieht bei ihr nur dieselben infamen Mittel, durch die sie, von der Liebe beschwingt, selbst zum Ziel gelangt ist.
Im Urlaub begegnet man fast immer netten Menschen, da jeder sich bemüht, dort anders zu sein als zu Hause. Unsere Urlaubsbekannten lernen wir erst wirklich kennen, wenn sie uns ein halbes Jahr später überraschend besuchen. Es empfiehlt sich, ihnen grundsätzlich eine falsche Adresse zu geben.
Jede Verbesserung ist ein Fortschritt, aber nicht jeder Fortschritt eine Verbesserung.
Komik entsteht, wenn sich unser Verstand durch die unbegrenzten Möglichkeiten der Erscheinungswelt blamiert sieht, also durch die Aufdeckung einer Erfahrungslücke.
Das Fernsehen ist ein Hausgast geworden, der alle anderen Hausgäste vor die Wahl stellt, sich ihm unterzuordnen oder wegzubleiben.
Ungebildete Leute machen in Gesellschaft leicht dadurch auf sich aufmerksam, dass sie es mit den so genannten gebildeten Formen etwas zu genau nehmen.
Unsere Silvesterbilanz darf nicht vergessen, auch alle diejenigen Dinge in Rechnung zu stellen, die uns im abgelaufenen Jahr ebenso mißlingen konnten. Das Erreichte wird erst vor dem Hintergrund des Gefährdeten richtig bewertet.
Die Lust, Prozesse zu führen, nimmt in demselben Grade ab, in dem man den Wert der Zeit kennenlernt.
Der Sport dient der Völkerversöhnung, indem er den Völkern ständig neue Zankäpfel zuwirft, an denen sie ihren Nationalismus abreagieren können.
Eine der erstaunlichsten Erscheinungen ist, daß man sich einbildet, von abhängigen Menschen unabhängige Meinungen erwarten zu dürfen.
Wenn es die Ballkunst wäre, was die Fußballanhänger begeistert, müsste jedes Trainingsspiel überlaufen und manches Meisterschaftsspiel uninteressant, wenn nicht abstoßend sein.
Wie wir von manchen Menschen verkannt werden, beweisen uns nicht selten ihre Geschenke.
Viele entlarven sich im Karneval bereits in dem Moment, in dem sie in ein Kostüm schlüpfen.
Das Beste und das Schönste einer Reise wird daheim erlebt: Teils vorher, teils nachher.
Die Jugend ist trotz ihrer Frechheiten schüchterner, das Greisenalter trotz seiner Würde frecher, als man glaubt.
Der Dilettant wird am schwersten erkannt, wenn er es gleichmäßig auf vielen Gebieten ist.
Es macht Liebenden nichts aus, durch Länder und Meere getrennt zu sein. Unerträglich ist für sie nur eine Wand oder eine Zimmertüre.
Die Laster, mit denen wir selbst liebäugeln, pflegen wir am unnachsichtigsten zu verurteilen.
Zu den wenigen Vorzügen der Diktatur gehört es, dass sie den Freiheitssinn lebendig erhält.
Allen Moden gemeinsam ist die Beobachtung, dass ihre ersten und ihre letzten Vertreter komisch sind.
Im Fortschritt macht sich der Mensch selbst Konkurenz, denn die meisten Fortschritte zielen darauf ab, ihn soweit wie möglich zu ersetzen.