Zitate von Jean de La Bruyère
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Der Haß des Menschen ist so hartnäckig, daß der Wunsch eines Kranken nach Versöhnung mit seinem Freunde als das untrüglichste Vorzeichen des Todes gelten kann.
Manche Frau versteht ihren Mann so gründlich zu verdrängen und im eigenen Hause zu begraben, daß draußen in der Welt kein Mensch von ihm spricht: Lebt er noch? Lebt er nicht mehr? Man weiß es nicht.
Es gibt kein Werk, es mag noch so vollendet sein, das sich in den Händen der Kritik nicht völlig auflöste, wenn der Autor, auf alle Beurteiler hören wollte, von denen jeder die Stelle streicht, die ihm am wenigsten gefällt.
Beim Anblick eines gewissen Elends empfindet man eine Art Scham, glücklich zu sein.
Eine große Seele ist erhaben über Beleidigungen, Ungerechtigkeit, Schmerz und Spott; sie wäre unverwundbar, wenn sie nicht aus Mitgefühl litte.
Es ist ebenso schwer, einen eitlen Menschen zu finden, der sein Glück groß genug glaubte, wie einen bescheidenen, der sein Mißgeschick für unerträglich hielte.
Ende der Liebe: fühlbarer Beweis, daß der Mensch ein beschränktes Wesen ist und das Herz seine Grenzen hat.
Im Grunde ihres Herzens verlangen die Menschen nach Achtung, und doch verbergen sie sorgfältig das Verlangen.
Man braucht keine zwanzig Jahre zu warten, um die Menschen ihre Ansichten über die wesentlichsten Dinge und über Wahrheit ändern zu sehen, die ihnen völlig gewiß waren.
Man mag in der Liebe heikel sein, man verzeiht ihr doch mehr Fehler als der Freundschaft.
Nichts ist so unbedeutend, so einfach und unauffällig, daß man durch die Art, wie man es tut, nicht sein Wesen verriete.
Eine Frau ist leicht zu beherrschen, wenn einem Mann daran gelegen ist. Ein einziger kann sogar mehrere lenken.
Die unerfreulichen Charaktere, davon die Welt voll ist, nicht ertragen zu können, zeugt von schwacher Wesensart: Im Verkehr muß es Scheidemünze und Goldstücke geben.
Manche Frauen haben ihr ganzes Leben hindurch eine doppelte Bindung aufrechtzuerhalten, die gleich schwer zu lösen und zu verschleiern ist; bei der einen fehlt nur der Vertrag, bei der anderen das Herz.
Wer anders denkt als die Allgemeinheit und sich gegen die anerkannten Ordnungen auflehnt, müßte tiefere Kenntnisse haben als die anderen, klare Einsichten besitzen und über Beweise verfügen, die jeden Zweifel ausschlössen.
Man braucht sehr wenig inneren Gehalt für die Feinheit des Betragens, aber sehr viel für die des Geistes.
Nichts möchten sich die Menschen lieber erhalten und nichts schonen sie trotzdem weniger als ihr Leben.
Mein Gefühl sagt mir, daß es Gott gibt, und es sagt mir nicht, daß es ihn nicht gibt. Das genügt mir.
Das Leben ist eine Tragödie für die, die fühlen, und eine Komödie für die, die denken.
Wenn Adel Tugend ist, so geht er durch all das verloren, was der Tugend widerspricht; ist es nicht Tugend, taugt er wenig.
Schöne Mädchen geben ihren einst schlecht behandelten Liebhabern oft durch häßliche oder unwürdige Ehemänner eine zwar späte, aber ausreichende Genugtuung.
Das beste aller Güter, wenn es überhaupt Güter gibt, ist die Ruhe, die Zurückgezogenheit und ein Plätzchen, das man sein eigen nennen kann.
Auch wer Geist hat, kann der Lächerlichkeit verfallen; aber er befreit sich wieder davon.
Mit geliebten Menschen zusammen sein: mehr braucht es nicht; träumen, mit ihnen sprechen, nicht sprechen, an sie denken, an die gleichgültigsten Dinge denken, aber in ihrer Nähe: alles gilt gleich.
Wieviel hat doch die gesprochene Rede vor dem geschriebenen Werk voraus! Die Menschen lassen sich von Gebärdenspiel und Worten und dem äußeren Gepränge des Versammlungsorts betören.
Man muß um die Gunst derer, denen man wohl will, weit mehr werben, als um die Gunst derer, von denen man Wohlwollen erwartet.
Die Kinder der Götter entziehen sich den Gesetzen der Natur und bilden gleichsam die Ausnahme von der Regel.
Große Dinge setzen in Erstaunen, der kleinen wird man überdrüssig; durch die Gewohnheit werden wir mit beiden vertraut.
Geziertheit in Gebärden, Sprechen und Benehmen ist oft eine Folge von Müßiggang oder Teilnahmslosigkeit; und es scheint, daß eine starke Neigung oder ernstliche Tätigkeit den Menschen sein wahres Wesen wieder finden läßt.
Es gehört zum Wesen eines Dummkopfs, beschwerlich zu fallen: Ein feinfühliger Mensch merkt, ob er gelegen ist oder ob er langweilt…
Beim Freunde sieht man nur die Fehler, die ihm nachteilig werden können, bei der Geliebten nur die Fehler, unter denen man selber zu leiden hat.