Zitate von Johannes Scherr
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Jedes Prinzip biegt sich, allzu scharf zugespitzt, in sein Gegenteil um. Das überspannte moralische Prinzip führt zu zaristischem Despotismus, das übertriebene demokratische zur Pöbeltyrannei.

Jedes Volk muß regiert werden, seine Führer müssen es leiten, ihm seine wahren und dauernden Interessen deutlich machen, wenn nicht der Staat dem erbärmlichsten Despotismus und damit dem Zufall, der Willkür und Anarchie preisgegeben werden soll.

Zu allen Zeiten liebten und lieben es die Menschen, die Torheit der Vorfahren lächerlich, ihre eigene aber ehrwürdig zu finden.

Je ungeheuerlicher eine Lüge, desto leichter schluckt sie der Köhlerglaube hinunter.

Je dümmer, desto schöner, je alberner, desto verehrungswürdiger, je sinnloser, desto erbaulicher. In diese zwölf Worte faßt sich bekanntlich das Ergebnis sämtlicher Dogmengeschichten, sämtlicher Religionen zusammen.

Die große Meisterin Not mit ihrer erstgeborenen Tochter Arbeit sind überall Kulturbringerinnen.

Ach, daß die Kinder erst nach der Eltern Tod einsehen, daß diese es besser mit ihnen gemeint als sie selber.

Daß der Zweifel an dem Gegebenen und Überlieferten der Vater aller wirklichen Forschung, wird heutzutage nur noch von Leuten betritten, welche in Sachen des Denkens und Wissens überhaupt nicht mitzählen.

Die Gesellschaft ist allezeit geneigt, die Kühnheit des Lasters, nie aber die Kühnheit des Denkens zu verzeihen.

Ja, die „große Meisterin“, die Not, sie ist es, welche den kategorischen Imperativ der Pflicht lehrt und Charakter bildet.

Wissen ist Macht, also Arbeit. Das sei und bleibe unser Bekenntnis und unsere Losung.

Für den Mann reißt in der Tat mit dem Gürtel, mit dem Schleier gewöhnlich der schöne Wahn entzwei, aber für das Weib ist die Brautnacht das Tor zu ihrem wahren und wirklichen Dasein: denn aus dem Grab ihrer Jungfernschaft steht triumphierend ihre Mutterschaft auf, ihres Wesens Essenz und Zweck.

Es kann einem Zweifel gar nicht unterstellt werden, daß eines Volkes Vor- und Rückschritt durch das bewußt oder unbewußt ihm vorschwebende Ideal bedingt oder bestimmt wird.

Wir leben nicht in Utopia, sondern auf Erden, und das Dasein ist keine Schlaraffei, sondern Arbeit, Sorge und Kampf.

Denn was ist zumeist die „öffentliche Meinung“? Nichts als ein verworrenes Geräusch, das aus dem Zusammenstoß der so oder anders angestrichenen Bretter entsteht, welche die Menschen vor ihren Stirnen tragen.

Helden, Dichter und Frauen gehören untrennlich zusammen. Heldentum und Dichtertum, durch das Frauentum erhalten beide erst die rechte Weihe.

Das Dogma von der absoluten Gleichheit der Menschen ist nicht mehr und nicht weniger ein Wahn als irgendein religiöses Dogma.

Nur der werktätige Glaube an das Evangelium der Arbeit erhält, wie die einzelnen Menschen, so auch ganze Völker gesund und tüchtig.

Der Idealismus ist der Glaube an Ur-Ideen, die Urbilder des Guten und Rechten, des Wahren und Schönen, Ur-Ideen, welche dem Menschen nicht eingeboren sind, sondern die er sich vielmehr auf dem mühsamen Wege vieltausendjähriger Kulturarbeit aneignen mußte.

Nicht der Mann allein macht die Geschichte und die Poesie; wie zur Fortpflanzung der Menschheit, gehört auch zum Kulturprozeß das „Ewig-Weibliche“.

Jeder anständige Mensch ist durch das Gefühl der Pflicht gezwungen, nach Maßgabe seiner Kräfte in den großen Kampf einzugreifen, darin seinen Mann zu stellen und trotz Ekel und Überdruß auszuharren auf seinem Posten.

Die Poesie verklärt und bestraft. Sie verklärt, indem sie die Gestalt und die Züge ihrer Zeit, im Fenster des Ideals geläutert, der Nachwelt überliefert; sie bestraft, indem sie der Wirklichkeit das Ideal als einen Medusenschild entgegenhält.

Der Mensch will getäuscht sein. Das verlangt seine Natur, welche nach Täuschung lechzt und die Wahrheit mehr fürchtet als Feuer und Schwert.

Ohne Verständnis der Naturgesetze gibt es kein Verständnis der Gesetze, welchen gemäß der Prozeß menschlicher Kultur vor sich geht, daher ohne Naturwissenschaft keine Geschichtswissenschaft.

Nicht der Erfolg ist der Prüfstein geschichtlicher Charaktere, sondern das Recht, die Wahrheit und die Menschlichkeit. Sonst müßten ja gar häufig die größten Schurken für die verehrungswürdigen Gestalten der Weltgeschichte gelten.

Die ganze Weltgeschichte ist nur eine fortgesetzte Durchlöcherung und Zertretung des papierenen Rechtsbodens.

Man kann, ohne in Phantasterei zu verfallen, kecklich sagen, daß die Frauen, weil idealistischer gestimmt, inniger fühlend, hingebungsvoller und aufopferungsfähiger als die Männer, ganz vornehmlich zur Mitschaffung an dem Zukunftsbau unseres Volkes berufen sind.

Jeder ist seines Glückes Schmied, – ja wohl, aber zum Schmieden gehören nicht nur rüstige Arme, sondern auch leidlich gutes Handwerkszeug, und dieses Handwerkzeug, das ist gerade das Glück selber.

Aller Anfang ist schwer, jawohl; aber das rechtzeitige Aufhören ist eine noch schwierigere Kunst.

Es ist ein großer Frevel an der Natur, die wildwachsenden Blumen als Unkraut zu bezeichnen.

Pessimismus ist ganz wesentlich Leidenschaft, heißer Wunsch und Wille, das Elend des Daseins zu mildern und die Schäden der Gesellschaft zu bessern.

Die Gleichheit der Menschen und Völker ist ein Ideal, dessen Verwirklichung den Naturgesetzen widerspricht. Nur Gauner stellen sich an, daran zu glauben, um mit dieser Leimrute Gimpel zu fangen.

Eine dauernde Machtübung über Menschen ist nur auf der Granitbasis eines Prinzips möglich.

Die Frauen leben die Poesie; wir Männer begnügen uns, sie zu bewundern. Wir lassen uns von dem Dichter läutern, begeistern; aber die Frauen lieben ihn; denn die ganze Musik der Poesie, nur in Frauenseelen klingt sie wieder.

Das charakterlose Talent bringt es in allem und jedem zum Virtuosentum, nie aber zur Künstlerschaft.

Soll der Mensch nicht vertieren, so muß er etwas haben, an etwas glauben, was ihn über die Drangsal des Kampfes ums Dasein emporhebt. Ohne Illusion, Ideale, Götter ist er nur eine Bestie, sei es eine wilde, sei es eine wüste.

Die menschliche Gesellschaft kann ohne das Prinzip der Autorität nicht bestehen. Dieses ist der soziale Nordpol der Menschheit, ohne welchen der soziale Südpol, das Prinzip der Freiheit, nicht gedacht werden kann.

Der Katholicismus negirt zwar in der Theorie die Berechtigung der Sinnlichkeit, anerkennt sie aber in der Praxis um so entschiedener.

Die Kinder des Glückes, und nun gar vollends die „in Purpur geborenen“ erfahren nur selten oder nie jenen schmerzlichen, aber heilsamen Druck der Not, welcher die Muskeln der Seele stählt und ihre Federkraft erhöht.

Glaubt nicht den Scharlatanen in der kurzen und langen Robe, in der roten und schwarzen Kutte, die vom Phantasma der Menschenbruderschaft schwatzen.