Zitate von Anselm Vogt
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Wir leben den Dingen gegenüber, verdammt zur Beobachterrolle, unsere Sehnsucht nach Nähe ist letztlich eine nach Selbstaufgabe. Nähe ohne Distanz führt zur Konturlosigkeit; so wird auch unser Ichbild diffus, wenn wir nicht mehr den Umweg über den distanzierenden Blick der Anderen nehmen.

Das Eigentum fördert nicht – wie der Liberalismus wähnt – das Gemeinwohl, sondern das Wohl der Gemeinen.

Der inflationäre Gebrauch des Du ist Symptom einer emotionalen Desensibilisierung: Wir lassen immer mehr Menschen in unsere Nähe, aber immer weniger gehen uns wirklich nahe.

Wir Menschen tragen unvermeidlich Masken. Vorsicht ist daher vor allen vor der Maske der Maskenlosigkeit angezeigt.

Die antiautoritären Erzieher forderten zum Widerspruch auf und wundern sich nun über die Autoritätssucht vieler Nachwachsender.

Warum sind sich die Menschen in unserer Zeit so fern? Vielleicht, weil sie so distanzlos geworden sind.

Unsere authentischen Äußerungen sind so echt, daß wir uns nur ungern darin wiedererkennen.

Der heutige Körperkult ist die Fortsetzung der abendländischen Leibfeindlichkeit mit anderen Mitteln.

In der Kunst sind Erfolg und Mißerfolg sprachlich benachbart: Entweder ausgestellt oder ins Aus gestellt.

Was bedeutet Horizonterweiterung durchs Internet? Provinzialisierung der Welt zum „global village“.

Der heilige Zorn, mit dem der Atheist seine Thesen verfocht, verriet seine religiöse Vergangenheit.

Man beklage nicht den Verlust von Maß und Mitte in unserer Zeit. Dafür werden wir durch die Herrschaft des Mittelmaßes entschädigt.

Der Massennihilismus der modernen Freizeitgesellschaft ist das ungeliebte Kind der Verbindung von Hedonismus und Aufklärung, der unsere Gesellschaft ihr freudloses Dauergrinsen verdankt.

Die Liebe scheitert häufig, weil sie sich aus gegensätzlichen Komponenten zusammensetzt. Sie verlangt Kenntnis und Vertrauen, aber auch das Geheimnis, das durch die Kenntnis oft zerstört wird.

Freiheit ohne Ausweg: Auch Nichtwähler sind Wähler. Sie haben gewählt, nicht zur Wahl zu gehen.

Lebenserwartung: Die steigende Lebenserwartung bedeutet, daß die Menschen länger auf das Leben warten, obwohl schließlich doch nur der Tod eintritt.

Aus der Irritation angesichts der Vielfalt flüchtet der Mensch in die Sicherheit der Einfalt.

Zwischenmenschliche Reibungen sind unfruchtbar, es sei denn, sie führten zur Fortpflanzung.

Die Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft führt zur Verherrlichung der Jugend, denn sie treibt durch Kindermangel den Marktwert der „Jugend“ ins Unermeßliche.

Der Kulturrelativist lehnte Antibiotika ab, weil ihm auch das Selbstentfaltungsrecht von Bakterienkulturen heilig war.

Führung: Lenkung anderer Menschen, die häufig von Personen beansprucht wird, die sich selbst nicht im Griff haben.

Gedankengebäude verdanken ihre Statik oft nicht dem Gewicht der aufeinander aufbauenden Gedanken, sondern dem Zement des Dogmatismus.

Geheimhaltung: Wer an der Veröffentlichung einer Information interessiert ist, sollte strengste Geheimhaltung fordern.

Heute ist die Idee der Nächstenliebe nicht einmal mehr eine Utopie. Der moderne Hedonist strebt nur noch nach der nächsten Liebe.

Wodurch definiert sich tugendhafte Politik? Sie nimmt politische Gegner gern im Namen der Tugend in Haft.

Geiz ist geil: In diesem Spruch vereinigt sich die Spaßgesellschaft mit dem Spießertum der fünfziger Jahre.

Was ist Feigheit? Am Leben wie an einem Galgen zu hängen, der es beendet, bevor es richtig beginnt.

Den nur Vorausschauenden sei gesagt: Auch aus Vorsicht ist gelegentlich Rücksicht geboten.

Der Glaube fördert die Moral, wenn er sich mit Demut paart, er führt zur Amoral, wenn er zu moralischer Hybris verführt.

Die veränderte Einstellung zur Seele zeigt sich auch darin, daß für sie immer seltener Seelsorger und immer häufiger Animateure zuständig zu sein scheinen.

Die Sprache ist verräterisch: Kultur scheint sich in Deutschland auf den Bereich der Körperpflege, den „Kulturbeutel“, zu konzentrieren, der in Frankreich noch zur Sphäre des Notwendigen, zum „Necessaire“, zählt.

Die Eitelkeit mancher Menschen stinkt gen Himmel, der Gestank mancher Uneitler ist jedoch ungleich unangenehmer.

Geist: Paradoxerweise wird die Existenz des Geistes nicht von Geistlosen, sondern häufig von solchen geleugnet, die über viel Geist verfügen.

Manuskripten geht es wie Lebewesen. Sie gehen irgendwann ein. Ihre Sterbeurkunde ist die Eingangsbestätigung durch den Verlag.