Zitate von Anselm Vogt
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Begehren: Das paradoxe Streben nach Anwesenheit eines Objekts, das seinen Reiz nur seiner Abwesenheit verdankt.

Wahre Freundschaft führt zur intimen Kenntnis einer Person, Erotik häufig nur zur Kenntnis des Intimen.

Messen: Die Vermessung der Intelligenz schafft wenig Klarheit über die geistige Kapazität, aber fördert manchmal die Vermessenheit.

Frieden: Das Kalkül des Pazifisten setzt darauf, daß die Selbstentwaffnung entwaffnend wirkt, aber sie könnte den Gegner erst zum Einsatz der Waffen ermutigen.

Der Theologe entmythologisierte so gründlich, daß schließlich auch Gott auf der Strecke blieb.

Der neue Testwahn führt zur Verengung des Bildungsbegriffs auf das, was sich dem „multiple choice“ erschließt.

Erlahmte die Bewegung des Denkens, verließ sich der Dialektiker auf seine zuverlässigste Denkprothese: die Antithese.

Die an Gott Zweifelnden wurden Humanisten, die am Menschen Zweifelnden wurden Tierschützer.

Hochbegabtenförderung: Man produziere mittels permissiver Erziehung Verhaltensstörungen und diagnostiziere sie sodann als Zeichen von Hochbegabung.

Manche gute Idee muß weniger gegen ihre Feinde als gegen ihre Anhänger in Schutz genommen werden.

Lebenskunst: Es gehört zur Lebenskunst, sie nicht durch die Frage nach dem Lebenssinn vom Leben abhalten zu lassen.

Wer dem Los der Zeit durch Zeitlosigkeit entgehen will, wird schnell zum Denkmal seiner selbst.

Er haßte es, würdig zu erscheinen. Er konnte jedoch nicht verhindern, gerade deswegen glaubwürdig zu wirken.

Sinn von Talkshows: Sie demonstrieren dem Zuschauer die Banalität bedeutender Leute, um seinen Glauben an die Bedeutung der eigenen Banalität zu stärken.

Durch welche würzige Beilage wird aus einem faden Rechtsstreit oft eine Delikatesse? Durch eingelegten Widerspruch.

Mancher Stoiker ruht derart in sich, daß man vermuten muß, daß er geistig bereits entschlafen ist.

Neid als Wurzel des Rassenhasses? Nicht wenige, die keine Tortur scheuen, um sich zu bräunen, hassen farbige Menschen.

Zu viele Menschen glauben, die Wahrheit zu besitzen, anstatt von der Wahrheit besessen zu sein.

Das Abkürzungsunwesen, das besonders in bürokratischen Systemen blüht, dient der Mystifizierung des Banalen, das so den Nimbus des Geheimnisvollen und Respekterheischenden erhält.

Mancher möchte Vordenker sein, um zur geistigen Avantgarde zu gehören, und versäumt dabei das Nachdenken.

Der empirische Sozialforscher zählte die Fallbeispiele und vergaß darüber die Erfahrung.

Ehe: Moderne Ehen scheitern oft an dem paradoxen Unterfangen, die Hitze der Leidenschaft durch institutionelle Abkühlung zu konservieren.

Der Böse hat kein Gewissen, weil er amoralisch ist, der Gute hat kein Gewissen, weil er sich für das Gewissen hält.

Was ist Heldentum? Die Chance, das Leben, das man nicht gelebt hat, einem hehren Ziel zu opfern.

Lehrer: Unterschied zwischen Lehrern und Pawlowschen Hunden: Bei den Pädagogen läuft beim Ertönen der Glocke nicht immer das Wasser im Munde zusammen.

Die eine Hälfte der Pazifisten verfehlt den Frieden, weil sie nicht für ihn zu kämpfen bereit ist, die andere Hälfte verfehlt ihn, weil sie für ihn kämpft.

Erfolg der neurobiologischen Entlarvung des Ich als Fiktion: Wissenschaftsgläubige delegieren nun die Mühe des Denkens an das Gehirn und wundern sich, daß es ohne sie nicht tätig wird.

Es wird oft übersehen, daß das Gute nicht selten in dem Moment zum Bösen wird, in dem es siegt.

Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten, erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung.

Der Pedant wirft uns vor, ein Detail übersehen zu haben. Doch nur durch die Bereitschaft zu übersehen gewinnen wir Übersicht.

Die Schwierigkeit des Glücks liegt darin, daß es weder völlig zufällig noch ganz herstellbar ist.

Feste waren einst Unterbrechungen des Alltags, in der Spaßgesellschaft unterbricht der Alltag zuweilen die Feste.