Zitate von Karl Kraus
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Wenn eine Frau ein Genie ist, dann ist sie es höchstens die paar Tage, die eine Frau dafür büßt, daß sie ein Weib ist. All die andere Zeit aber dürfte sie dafür büßen, daß sie ein Weib und ein Genie ist.
Eigene Gedanken müssen nicht immer neu sein. Aber wer einen neuen Gedanken hat, kann ihn leicht von einem anderen haben.
Wer den Patrioten des andern Landes für einen Lumpen hält, dürfte ein Dummkopf des eigenen sein.
Das Weib nimmt einen für alle, der Mann alle für eine. Der Mann bildet sich ein, dass er das Weib ausfülle. Aber er ist nur ein Lückenbüßer.
Ich habe um mancher guten Entschuldigung willen gesündigt; darum wird mir verziehen werden.
Ich bin jederzeit bereit, zu veröffentlichen, was ich einem Freunde unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit mitteile.
Die Menschheit stempelt seit Jahrhunderten die Ausübung der Weiberrechte zur Schande. Jetzt muss sie sich die Ausübung der Frauenrechte gefallen lassen.
Der Autor, der fremde Kostüme ausklopft, kommt dem stofflichen Interesse von der denkbar bequemsten Seite bei. Der geistige Leser hat deshalb das denkbar stärkste Misstrauen gegen jene Erzähler, die sich in exotischen Milieus herumtreiben.
Ein heutiges Kind lacht den Vater aus, der ihm von Drachen erzählt. Es ist notwendig, daß das Gruseln ein obligater Gegenstand wird; sonst lernen sie es nie.
Der Dilettantismus ist ebenso untüchtig wie die Kunst. Wenn er sich nicht mit der Geldgier verbündet hätte, würde das Publikum auch von ihm nichts wissen.
Der Wiener erkannt, daß der Wagentürlaufmacher zwecklos sei. Da erfand er Klinken, mit denen man nicht öffnen kann.
Die Zweiteilung des Menschengeschlechts ist von der Wissenschaft noch nicht anerkannt worden.
Was kann durch einen Weltkrieg entschieden werden? Nicht mehr, als dass das Christentum zu schwach war, ihn zu verhindern.
Die Zeitung in Deutschland ist immerhin eine Bedürfnisanstalt. Hier suchen sie durch Goldfische von dem eigentlichen Sinn der Verrichtung anzulenken.
Der Maler hat es mit dem Anstreicher gemeinsam, daß er sich die Hände schmutzig macht. Eben dies unterscheidet den Schriftsteller vom Journalisten.
Wie unperspektivisch die Medien die Symptome einer Krankheit beschreiben! Sie passen immer auch zu den eingebildeten Krankheiten.
Er wollte seine Geliebte zur Freiheit verurteilen. Das lassen sie sich schon gar nicht gefallen.
Bildung ist eine Krücke, mit der der Lahme den Gesunden schlägt, um zu zeigen, daß er auch bei Kräften sei.
Mein Unterbewußtes kennt sich im Bewußtsein eines Psychologen weit besser aus als dessen Bewußtsein in meinem Unterbewußtsein.
Ein Werk der Sprache in eine andere Sprache übersetzt, heißt, dass einer ohne seine Haut über die Grenze kommt und drüben die Tracht des Landes anzieht.
Man tadelte Herrn v. H. wegen eines schlechten Satzes. Mit Recht. Denn es stellte sich heraus, daß der Satz von Jean Paul und gut war.
Die bloße Mahnung an die Richter, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen, genügt nicht. Es müßten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie groß das Gewissen sein darf.
Es gilt, der Weltbestie Intelligenz, an deren Haß der Künstler stirbt, aber von deren Haß die Kunst lebt, den Genickfang zu geben.
Kein Mensch, der eine meiner gedruckten Arbeiten absucht, wird eine Naht erkennen. Und doch war alles hundertmal aufgerissen.
Warum hat sich die Ewigkeit diese Mißgeburt von Zeit nicht abtreiben lassen! Ihr Muttermal ist ein Zeitungsstempel, ihr Kindspech Druckerschwärze und in ihren Adern fließt Tinte.
Wenn ein Künstler Konzessionen macht, so erreicht er nicht mehr als der Reisende, der sich im Ausland durch gebrochenes Deutsch verständlich zu machen sucht.
Worüber ich nicht wegkomme: Daß eine ganze Zeile von einem halben Menschen geschrieben sein könne. Dass auf dem Flugsand eines Charakters ein Werk erbaut wäre.