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Selbst das Gewissen, diese sinn- und weltenerzeugende Macht, dieser Keim aller Persönlichkeit, erscheint mir, wie der Geist des Weltgedichts, wie der Zufall der ewigen romantischen Zusammenkunft, des unendlich veränderlichen Gesamtlebens.
NovalisEs ist seltsam, daß in einer guten Erzählung allemal etwas Heimliches ist - etwas Unbegreifliches. Die Geschichte scheint noch uneröffnete Augen in uns zu berühren - und wir stehn in einer ganz andern Welt, wenn wir aus ihrem Gebiete zurückkommen.
NovalisWir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht.
NovalisEine gewisse Einsamkeit scheint dem Gedeihen der höheren Sinne notwendig zu sein, und daher muß ein zu ausgebreiteter Umgang der Menschen miteinander manchen heiligen Keim ersticken.
NovalisDer Grund aller Verkehrtheiten in Gesinnungen und Meinungen ist - Verwechslung des Zwecks mit dem Mittel.
NovalisSucht nach Originalität ist gelehrter, grober Egoism(us). Wer nicht jeden fremden Gedanken wie einen seinigen und einen eigentümlichen wie einen fremden Gedanken behandelt, ist kein echter Gelehrter.
NovalisBei den Alten war die Religion schon gewissermaßen das, was sie bei uns werden soll - praktische Poesie.
NovalisEs ist doch keine größere Freude, als alles zu verstehen, überall zu Hause zu sein, von allem Bescheid zu wissen, überall sich helfen zu können.
NovalisDie Fabellehre enthält die Geschichte der urbildlichen Welt, sie begreift Vorzeit, Gegenwart und Zukunft.
NovalisOb sich nicht etwas für die neuerdings so sehr gemißhandelten Alltagsmenschen sagen ließe? Gehört nicht zur beharrlichen Mittelmäßigkeit die meiste Kraft? Und soll der Mensch mehr als einer aus dem Popolo sein?
NovalisEs dünkt dem Menschen, als sei er in einem Gespräch begriffen, und irgendein unbekanntes, geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwicklung der evidentesten Gedanken.
NovalisDie Wissenschaft im weitesten Sinn betreiben Gelehrte, Meister der bestimmten Kunst, und Philosophen, Meister der unbestimmten, freien Kunst.
NovalisJe größer der Dichter ist, desto weniger Freiheit erlaubt er sich, desto philosophischer ist er.
NovalisJedes Willkürliche, Zufällige, Individuelle kann unser Weltorgan werden. Ein Gesicht, ein Stern, eine Gegend, ein alter Baum usw. kann Epoche in unserm Innern machen. Dies ist der große Realism(us) des Fetischdienstes.
NovalisDie Träume haben sehr viel zur Kultur und Bildung der Menschheit beigetragen; daher mit Recht das ehemalige große Ansehn der Träume.
NovalisLicht ist die Aktion des Weltalls - das Auge, der vorzeichnende Sinn für das Weltall oder Weltseele - Weltaktion.
NovalisGemeinschaft, Pluralismus ist unser innerstes Wesen; und vielleicht hat jeder Mensch einen eigentümlichen Anteil an dem, was ich denke und tue, und so ich an den Gedanken anderer Menschen.
NovalisBosheit ist nichts als eine Gemüthskrankheit, die in der Vernunft ihren Sitz hat - und daher so hartnäckig und nur durch ein Wunder zu heilen ist.
NovalisDie Menschheit ist der höhere Sinn unsers Planeten, der Nerv, der dieses Glied mit der obern Welt verknüpft, das Auge, was er gen Himmel hebt.
NovalisMit Recht können manche Weiber sagen, daß sie ihren Gatten in die Arme sinken. - Wohl denen, die ihren Geliebten in die Arme steigen.
NovalisEheleute müssen eine Art von Mischung der Selbständigkeit und Unselbständigkeit haben. Sie müssen festen Charakter, als Sachen, haben, um ein Besitztum sein zu können, und doch geschmeidig, elastisch und durchaus bestimmt sein, ohne eigensinnig und ängstlich zu sein.
NovalisDenn auch der reuigste Sünder will bei seinem Bekenntnis geschont sein, das ist menschliche Natur.
NovalisSchon das Gewissen beweist unser Verhältnis, Verknüpfung (die Übergangsmöglichkeit) mit einer andern Welt - eine innre, unabhängige Macht und einen Zustand außer der gemeinen Individualität.
NovalisMan sollte stolz auf den Schmerz sein - jeder Schmerz ist eine Erinnerung unseres hohen Ranges.
Novalis