Zitate von Jean de La Bruyère
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Die Menschen haben zuviel mit sich selbst zu tun, als daß sie die Muße hätten, die andern zu ergründen und ihren Wert zu erkennen. Daher kommt es, daß man bei großen Verdiensten und noch größerer Bescheidenheit lange unbekannt bleiben kann.
Manche haben in ihrer Jugend ein bestimmtes Gewerbe erlernt, um die übrige Zeit ihres Lebens ein anderes auszuüben, das mit dem ersten nichts gemein hat.
Es gibt in der Kunst eine höchste Vollkommenheit, wie es in der Natur eine letzte Reife gibt. Wer sie empfindet, hat Geschmack, wer sie nicht empfindet, hat keinen. Über den Geschmack läßt sich tatsächlich nicht streiten.
Es gibt Fälle im Leben, wo Wahrheit und Offenheit die beste List von der Welt sind.
Unter allen Mitteln, sein Glück zu machen, ist das kürzeste und beste das: die Leute klar erkennen zu lassen, daß es in ihrem Interesse liegt, euch Gutes zu erweisen.
Solange die Menschen sterben können und das Leben lieben, wird der Arzt verspottet und gut bezahlt werden.
Die Menschen finden selten ein Wort der Anerkennung füreinander und zeigen wenig Neigung, sich gegenseitig zu loben.
Um jemanden lange Zeit und unbedingt zu beherrschen, muß man ihn mit leichter Hand lenken und ihn so wenig als möglich eine Abhängigkeit fühlen lassen.
Schlüpfrige Geister gibt es genug, schmähsüchtige oder satirische in noch größerer Zahl, die feinsinnigen sind selten.
Nichts gleicht mehr herzlicher Freundschaft als Verbindungen, die wir im Interesse unserer Liebe pflegen.
Oft ist es kürzer und nützlicher, sich in andere zu schicken, als danach zu streben, daß andere sich nach uns richten.
Der Parteigeist erniedrigt die größten Menschen bis zu den Kleinlichkeiten der großen Masse.
Eine gefühlskalte Frau gibt es nicht: Sie hat nur ihren wirklichen Liebhaber noch nicht gefunden.
Es wäre zum Besten der ehrenhaften Leute und zur allgemeinen Befriedigung wünschenswert, daß ein Schurke es nicht bis zu dem Grade wäre, daß ihm alle und jede Einsicht fehlte.
Je mehr sich ein Weib dem Manne hingab, desto enger hängt sich ihr Herz an ihn, während oft umgekehrt das des Mannes sich desto ablöst.
Ich fühle, daß es einen Gott gibt, und ich fühle nicht, daß es keinen gebe; das genügt mir, alles Vernünfteln ist dabei wertlos; ich folgere also, daß Gott existiert.
Schönheiten sind an der unrechten Stelle nicht mehr Schönheiten. Das Schickliche bedingt die Vollkommenheit und die Vernunft das Schickliche. Daher vernimmt man in einer Kapelle keine lustigen Tänze und erblickt keine profanen Bilder.
Ist das Leben unglücklich, so ist es mühselig zu ertragen; ist es glücklich, so ist es furchtbar, es zu verlieren. Beides kommt aufs gleiche heraus.
Wahre Freigebigkeit besteht nicht darin, viel zu geben, sondern zur rechten Zeit zu geben.
Die Frechheit der Quacksalber und ihre traurigen Erfolge kommen der Heilkunde und den Ärzten zugute: Diese lassen nur sterben, die anderen töten.
Der Tod kommt nur einmal, und doch macht er sich in allen Augenblicken des Lebens fühlbar. Es ist herber, ihn zu fürchten, als ihn zu erleiden.
Es kommt selten vor, daß einer sagen kann: Ich war ehrgeizig. Entweder ist man es gar nicht, oder man ist es immer. Aber es kommt eine Zeit, in der man eingesteht, daß man geliebt hat.
Wir suchen unser Glück außerhalb von uns selbst, noch dazu im Urteil der Menschen, die wir doch als kriecherisch kennen und als wenig aufrichtig, als Menschen ohne Sinn für Gerechtigkeit, voller Mißgunst, Launen und Vorurteile: wie absurd!
Eine schöne Frau, die zugleich die Eigenschaften eines Mannes von Welt besitzt, ist der köstlichste Umgang, den es gibt: In ihr finden sich Vorzüge beider Geschlechter vereint.
Man kommt in der Freundschaft nicht weit, wenn man nicht bereit ist, kleine Fehler zu verzeihen.
Bedenkt man die Schönheit, die Jugend, den Stolz und die Verachtung jener Frau, so kann man nicht zweifeln, daß nur ein Held sie einmal zu entzücken vermag. Nun hat sie ihre Wahl getroffen: ein kleines Ungeheuer ohne Geist.
Ueber die Mächtigen muss man schweigen. Gutes von ihnen zu reden, ist fast immer Schmeichelei; Uebles von ihnen zu sagen während ihres Lebens, ist gefährlich; und wenn sie gestorben sind, zeugt es von Feigheit.
Spott ist unter allen Beleidigungen diejenige, welche am wenigsten verziehen wird, denn es ist die Sprache der Verachtung.
Man sollte seine Arbeit gern denen vorlesen, die genug davon verstehen, um sie zu verbessern und zu schätzen.
Wenn eine Frau die Schönheit einer andern anerkennt, so darf man daraus schließen, daß sie sich selber für schöner hält…
Die Unmöglichkeit, in der ich mich befinde, zu beweisen, daß es keinen Gott gebe, tut mir eben seine Existenz dar.
Die große Mehrzahl der Menschen geht vom Zorn zur Beleidigung über; manche aber verfahren anders: sie beleidigen, und dann erst erzürnen sie sich. Die Überraschung, die dieses Verfahren jedesmal hervorbringt, läßt in uns das Wiedervergeltungsgefühl gar nicht aufkommen.
An der Enthüllung eines Geheimnisses ist stets der schuld, der es jemandem anvertraut hat.
Nicht alle Fremden sind Barbaren und nicht alle unsere Landsleute gesittete Menschen.
Es gehört sicherlich ebenso viel Trägheit wie Schwäche dazu, sich von anderen beherrschen zu lassen.
Wenn du genau darauf achtest, welche Leute nicht zu loben vermögen, nur immer tadeln, mit niemandem zufrieden sind, so wirst du bemerken, daß es stets die sind, mit denen niemand zufrieden ist.
Das Leben ist kurz und voll Verdruß: es vergeht unter lauter Wünschen; man verspart sich Ruhe und Freuden für die Zukunft, für ein Alter, wo die besten Güter dahin sind, Gesundheit und Jugend.
Nach der Pracht oder Ärmlichkeit des Wagens achtet man die Leute oder behandelt man sie geringschätzig.
Die Frauen verfallen immer mehr ins Extrem: sie sind entweder besser oder schlechter als die Männer.
Eine Frau heißt unbeständig, wenn sie nicht mehr liebt, leichtfertig, wenn sie einen andern liebt, flatterhaft, wenn sie nicht mehr weiß, ob und wen sie liebt, gleichgültig, wenn sie nichts liebt.