seite 8
Wem das allgemeine Wohl das höchste Ziel auf Erden dünkt, der tut den Menschen gar nichts so Gutes, wie er meint. Man soll nie das Wohl, man soll nur das Heil jedes Menschen im Auge haben, - zwei Dinge, die sich oft wie Wasser und Feuer unterscheiden.
Christian MorgensternWer nicht zuvor sich selbst vorschreibt, wird auch den Menschen nie vorschreiben dürfen. Man kann dem Wesen der Macht nichts abmarkten.
Christian MorgensternDas von selbst Verständliche wird gemeinhin am gründlichsten vergessen und am seltensten getan.
Christian MorgensternIch hatte mich in "Gott" verloren. Aber Gott will nicht, daß wir uns in ihm verlieren, sondern daß wir uns in ihm finden, das aber heißt, daß wir Christus in uns und damit in ihm finden...
Christian MorgensternManchmal wird mir die ganze Psychologie verdächtig, wenn ich bemerke, daß auf eine richtige Kombination schon bei den alltäglichsten Dingen so und so viele falsche kommen. Ja, wenn ein Mensch im Prinzip so denken und empfinden müßte, wie die andern!
Christian MorgensternImmer wieder: Nicht so sehr, was wir denken, ist das Höchste. Das Höchste ist das Denken selbst. Es allein verbürgt uns mit eherner Sicherheit den mit uns geborenen Gott.
Christian MorgensternVielen ist Reisen ein Ersatz für Leben. Es gibt oft nichts Schmerzlicheres, als solches zu erkennen.
Christian MorgensternWas ich heute tue, tue ich nicht um meinetwillen, sondern um meiner Liebe zum Menschen willen.
Christian MorgensternDer Nenner, auf den heute fast alles gebracht wird, ist Egoismus, noch nicht - Liebe.
Christian MorgensternAbstrakte Gedanken sind zuletzt auch nichts als - konkrete Wesenheiten; es ist ganz umsonst, das Leben aus dem Leben heraustreiben zu wollen.
Christian MorgensternIch bin ein Studienkopf, den der Schöpfer einst flüchtig skizzierte, als ihm ein Künstlerportrait im Sinne lag.
Christian MorgensternEines bleibt keinem Philosophen erspart: Das Offene-Türen-Einrennen. Dreiviertel seiner Kraft geht darauf flöten.
Christian MorgensternDer moderne Mensch "läuft" zu leicht "heiß". Ihm fehlt zu sehr das Öl der Liebe.
Christian MorgensternDie Natur ist die große Ruhe gegenüber unserer Beweglichkeit. Darum wird sie der Mensch immer mehr lieben, je feiner und beweglicher er werden wird. Sie gibt ihm die großen Züge, die weiten Perspektiven und zugleich das Bild einer bei aller unermüdlichen Entwickelung erhabenen Gelassenheit.
Christian MorgensternÜber jedem Gedanken, jeder Vorstellung liegen hundert Gedanken und Vorstellungen, die uns das jeweils Gedachte, jeweils Vorgestellte verhüllt.
Christian MorgensternEntweder man ist Künstler oder Philosoph. Der Philosoph achtet die Kunst, ja liebt sie, - aber er komplimentiert sie hinaus, wenn er mit seinem Ernst allein sein will.
Christian MorgensternDer Mensch rennt an die Mauer an, aber der Geist geht durch die Mauer hindurch.
Christian MorgensternDer Mensch hat die Liebe als Lösung der Menschheitsfrage einstweilen zurückgestellt und versucht es augenblicklich zunächst mit der Sachlichkeit.
Christian MorgensternErst das Wort reißt Klüfte auf, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Sprache ist in unsere termini zerklüftete Wirklichkeit.
Christian MorgensternSieh an, wie ein Zweirad in Bewegung und Fahrt gesetzt wird. Wenn du deinen Willen so in Bewegung und Fahrt zu versetzen vermagst, so wirst du nach einigen Schwankungen wie ein Meister im Sattel sitzen.
Christian MorgensternEin ander Mal Drei Rehe stehn wie eine Gruppe starr - wird er vorübergehn, der fremde Narr? Er wird vorübergehn, liebreizend Bild; er ist ein Jäger nur auf Seelenwild
Christian MorgensternEiner der seltsamsten Zustände ist das dunkle und unvollkommene Bewußtsein, das wir von der Form und dem Ausdruck unseres eigenen Gesichts haben.
Christian MorgensternWas du denkst und sagst, ist vor allem Ausdruck. Der sogenannte eigentliche Sinn des Gesagten ist nicht sein einziger Sinn.
Christian MorgensternDenke dir einen Teppich aus Wasser. Und als die Stickerei dieses Teppichs die Geschichte des Menschen.
Christian MorgensternDurch die Natur beruhigt sich Gott selbst immer wieder. Wehe, wenn er als Mensch in dem unseligen Fieber der Zivilisation sich selbst als Natur zerstört haben wird.
Christian MorgensternJeder Jüngling mag von sich denken, er sei der Messias, aber er muß nicht Messias sagen, sondern nur Messias tun.
Christian MorgensternEine der größten Unverfrorenheiten des Menschen ist, dies oder jenes Tier mit Emphase falsch zu nennen, als ob es ein annoch falscheres Wesen gäbe, in seinem Verhältnis zu den andern Wesen, als der Mensch!
Christian MorgensternDer gesunde Mensch ist schön und sein Zustandekommen erstrebenswert. Aber es muß ein bißchen irgendwelcher Krankheit in ihn kommen, daß er auch geistig schön werde.
Christian MorgensternEs ist der Schritt, der erobert. "En marche" ist eines der schönsten Worte der Welt.
Christian MorgensternSchön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Christian MorgensternUnser Bestes sind nicht unsere Werke. Das liegt oft in einem Blick von uns, in einem Gedanken, um dessentwillen wir uns selbst lieben möchten und um den doch niemand je weiß.
Christian MorgensternWahrhaftig, das Dreidimensionale kann noch nicht das Letzte sein. Es wäre ein zu grober Abschluß für ein so feines Kunstwerk wie die Welt.
Christian MorgensternWie sollte man wohl leben, wenn man nicht fortwährend bei sich wie bei den anderen hunderterlei Krumm gerade sein ließe.
Christian MorgensternAuch der Baum, auch die Blume warten nicht bloß auf unsere Erkenntnis. Sie werben mit ihrer Schönheit und Weisheit aller Enden um unser Verständnis.
Christian MorgensternSchließlich und endlich: was vermisse ich unter meinen Mitmenschen am meisten? Wirkliche, wirkliche Phantasie.
Christian Morgenstern