Karl Kraus Zitate
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Es liegt nahe, für ein Vaterland zu sterben, in welchem man nicht leben kann. Aber da würde ich als Patriot den Selbstmord einer Niederlage vorziehen.

Ich schlafe nie nachmittags. Außer, wenn ich vormittags in einem österreichischen Amt zu tun hatte.

Aus Lebensüberdruß zum Denken greifen: ein Selbstmord, durch den man sich das Leben gibt.

Der Sinn nahm die Form, sie sträubte und ergab sich. Der Gedanke entsprang, der die Züge beider trug.

Der Gedanke richtet die Welt ein, wie der Bittere den verdorbenen Magen: er hat nichts gegen das Organ.

Wer das Lob der Menge gern entbehrt, wird sich die Gelegenheit, sein eigener Anhänger zu werden, nicht versagen.

Man muß oft erst nachdenken, worüber man sich freut; aber man weiß immer, worüber man traurig ist.

Auf lautes Herzklopfen nicht Herein! zu sagen – dazu ist wahrlich die beste nicht gut genug.

Wenn wir einen Fehler längst abgelegt haben, werfen uns die Oberflächlichen den Fehler und den Gründlichen Inkonsequenz vor.

Ich kannte einen Helden, der an Siegfried durch die dicke Haut erinnerte und an Achill durch die Beschaffenheit seiner Ferse.

Welche Plage, dieses Leben in Gesellschaft! Oft ist einer so entgegenkommend, mir ein Feuer anzubieten, und ich muss, um ihm entgegenzukommen, mir eine Zigarette aus der Tasche holen.

Auch ein anständiger Mensch kann, vorausgesetzt, daß es nie herauskommt, sich heutzutage einen geachteten Namen schaffen.

Nie wird – im Sexualbereich – freies Gewähren die Menschheit zu tief herunterbringen wie Verbieten, was heimlich dennoch geschieht.

Die österreichische Überzeugung, dass dir nix geschehen kann, geht bis zu der Entschlossenheit eines Mannes, der auf Unfall versichert ist und sich deshalb ein Bein bricht.

Wer wird denn einen Irrtum verstoßen, den man zur Welt gebracht hat, und ihn durch eine adoptierte Wahrheit zu ersetzen?

Man kann über eine Null ein Buch schreiben, der man mit einer Zeile zu viel Ehre erwiese.

Der Philister ist nicht imstande, sich eine Gemütserhebung selbst zu besorgen, und muß unaufhörlich an die Schönheit des Lebens erinnert werden. Selbst zur Liebe bedarf es einer Gebrauchsanweisung.

Das größte Lokalereignis, das in allen Städten gleichzeitig und unaufhörlich sich begibt, wird am wenigsten beachtet: der Einbruch des Kommis in das Geistesleben.

Die Satire wählt und kennt keine Objekte. Sie entsteht so, daß sie vor ihnen flieht und sie sich ihr aufdrängen.

Die Weiber sind nie bei sich und wollen darum, daß auch die Männer nicht bei sich seien, sondern bei ihnen.

Humanität, Bildung und Freiheit sind kostbare Güter, die mit Blut, Verstand und Menschenwürde nicht teuer genug erkauft sind.

Alles Leben in Staat und Gesellschaft beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß der Mensch nicht denkt. Ein Kopf, der nicht in jeder Lage einen aufnahmsfähigen Hohlraum darstellt, hat es gar schwer in der Welt.

Sinnlichkeit des Weibes lebt so wenig vom Stoff wie männliche Künstlerschaft. Je nichtiger der Anlaß, desto größer die Entfaltung. Der Geist ist an kein Standesvorurteil gebunden und die Wollust hat Perspektive.

Die Zudringlichkeit einer Justiz, die die Beziehungen der Geschlechter reglementiert, hat stets noch der ärgsten Unmoral, die vom Strafgesetz nicht zu fassen ist, oder schweren Vergehungen und Verbrechen Vorschub geleistet.

„Gut schreiben“ ohne Persönlichkeit kann für den Journalismus reichen. Allenfalls für die Wissenschaft. Nie für die Literatur.

Es gibt eine Originalität aus Mangel, die nicht imstande ist, sich zur Banalität emporzuschwingen.

Da das Halten wilder Tiere gesetzlich verboten ist, und die Haustiere mir kein Vergnügen machen, so bleibe ich lieber unverheiratet.

Ich habe es so oft erlebt, dass einer, der meine Meinung teilte, die größere Hälfte für sich behielt, dass ich jetzt gewitzt bin und den Leuten nur noch Gedanken anbiete.