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Wenn der Dieb in der Anekdote stehlen geht, so hält ihm der Wächter das Licht. Diese Situation ist auch den Frauen nicht unerwünscht.
Karl KrausEs gibt noch Menschen unter uns, die so aussehen, als ob sie eben von der Kreuzigung Christi kämen, und andere, die zu fragen scheinen: Was hat er gesagt? Wieder andere, die es niederschreiben unter dem Titel "Die Vorgänge auf Golgatha".
Karl KrausIst der "Masochismus" die Unfähigkeit, anders als im Schmerz zu genießen, oder die Fähigkeit, aus Schmerzen Genuß zu ziehen?
Karl KrausDer "starre Buchstabe des Gesetzes"? Das Leben selbst ist zum Buchstaben erstarrt, und was bedeutet neben solchem Zustand die Leichenstarre der Gesetzlichkeit!
Karl KrausDas Talent ist ein aufgeweckter Junge. Die Persönlichkeit schläft lange, erwacht von selbst und gedeiht darum besser.
Karl KrausEben jenes Böse, welches das Christentum nicht bändigen konnte, aufzupeitschen, ist der Druckerschwärze gelungen.
Karl KrausDie Verluste an Sinnlichkeit und Phantasie, die Ausfallserscheinungen der Menschheit, sind kinodramatisch.
Karl KrausSonderbare Gäste Daß mancher Fant bei mir gesessen, Sollte mir hinterdrein übel bekommen. Er hat die Weisheit mit dem Löffel gegessen, Den er von meinem Tische genommen.
Karl KrausWenn ein Gedanke in zwei Formen leben kann, so hat er es nicht so gut wie zwei Gedanken in einer Form.
Karl Kraus"Gehn's, san's net fad!", sagt der Wiener zu jedem, der sich in seiner Gesellschaft langweilt.
Karl KrausGäbe es keine Politik, so hätte der Bürger bloß sein Innenleben, also nichts, was ihn ausfüllen könnte.
Karl KrausWer sich darauf verlegt, Präfixe zu töten, dem gehts nicht um die Wurzel. Wer weisen will, beweist nicht; wer kündet, hat nichts zu verkünden.
Karl KrausEr ließ einem Größenwahn, der nicht von ihm ist, die Zügel, die er sich ausgeborgt hatte, schießen.
Karl KrausSie verkürzen sich die Zeit mit Kopfrechnen: er zieht die Wurzel aus ihrer Sinnlichkeit und sie erhebt ihn zur Potenz.
Karl KrausDer Bibliophile hat annähernd dieselben Beziehungen zur Literatur wie der Briefmarkensammler zur Geographie.
Karl KrausIch kannte einen Helden, der an Siegfried durch die dicke Haut erinnerte und an Achill durch die Beschaffenheit seiner Ferse.
Karl KrausDas Wesen eines Diplomaten setzt sich aus zwei Vorstellungen zusammen: Dejeuner und Courtoisie. Was darüber ist, das ist von Übel.
Karl KrausEinen Roman zu schreiben, stelle ich mir als reines Vergnügen vor. Nicht ohne Schwierigkeit ist es bereits, einen Roman zu erleben. Aber einen Roman zu lesen, davor hüte ich mich, so gut es irgend geht.
Karl KrausDas größte Lokalereignis, das in allen Städten gleichzeitig und unaufhörlich sich begibt, wird am wenigsten beachtet: der Einbruch des Kommis in das Geistesleben.
Karl KrausEine Frau muß so gescheit aussehen, daß ihre Dummheit eine angenehme Überraschung bedeutet.
Karl KrausWenn unsere Presse sich als das gäbe, was sie wirklich ist, als Element der capitalistischen Weltordnung wohl sein muß, um wie viel besser stünde es um uns!
Karl KrausEin Oppositioneller sein, das heißt ja in Österreich nicht bloß: wollen, was die Regierung nicht will, sondern auch: wollen, wovon man nicht will, daß die Regierung es wolle.
Karl KrausDie Zeiten starben am Fett oder an der Auszehrung. Die hier will den Tod durch eine überernährte Armut foppen.
Karl KrausGesellschaft: Es war alles da, was da sein muß und was sonst nicht wüßte, wozu das Dasein ist, wenn es eben nicht dazu da wäre, daß man da ist.
Karl Kraus"Zeitraum": das ist ein Quodlibet der Ewigkeit. Man versuche einmal, sich ohne Kopfschmerzen die Raumzeit vorzustellen.
Karl KrausRaum ist in der kleinsten Hütte, aber nicht in der selben Stadt für ein glücklich liebend Paar.
Karl KrausSorrent im August: Ich habe nun zwei Wochen kein deutsches Wort gehört und kein italienisches verstanden. So läßt sich's mit den Menschen leben, alles geht am Schnürchen und jedes aufreibende Mißverständnis ist ausgeschlossen.
Karl KrausDie Moral ist ein Einbruchswerkzeug, welches den Vorteil hat, daß es nie am Tatort zurückgelassen wird.
Karl KrausFrüher war ich oft amoralisch entrüstet. Aber die Sittlichkeit nimmt rings überhand, und man gibt es auf.
Karl KrausIch und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören möchte.
Karl Kraus