Moralisten Moralisten, die etwas taugen, sind es mit Unlust, denn Moralist sein verdirbt den Charakter. Noch mehr freilich wird dieser geschädigt durch eine Moral, deren Verlogenheit zu entlarven die Aufgabe der Moralisten bleibt.

War ich feige aus Müdigkeit? Oder war Feigheit der Grund meiner Müdigkeit? Wie auch immer: ich log.

Am Anfang war die Zukunft. Dann häuften sich Erinnerungen. Am Ende räumt Vergessen auf.

Ein Gespenst geht um, nicht in Europa nur: das, was wir geschaffen haben, unsere Zivilisation.

Die Ackergäule von ehedem: Pfleglich fast prägten sich ihre Huftritte der Erde ein, ohne ihr weh zu tun. Heute walzen Maschinen die Böden platt.

Im Unterschied zum Fortschrittsgedanken ist christlicher Glaube nicht optimistisch.

Voyeurismus Voyeurs, elende, die wir an Sterbebetten, aufgewühlt oder kühl, die schrecklichste Vergewaltigung eines Nächsten beäugen, ohne uns der Dreistigkeit zu schämen, weiterzuleben, während er stirbt.

Für Eskimos, las ich, sei Luna „die Frau, die keinen Mann nehmen will“ – eine Art Radikalfeministin.

Ich könnte mir einen Dokumentarfilm denken, dessen Thema seinen Titel ergibt: „Sachzwang frißt Menschenfleisch“.

Die Sonne lacht, der Himmel weint – als ob’s nicht auch einen lachenden Regen gäbe und nie eine trauernde Sonne.

Wie öffentlich so ein Regen! Und enteilt doch schleunigst ins Verborgene.

Zweierlei Ellen Falls Arbeiter streiken, weil sie höhere Löhne fordern, gilt dies bald schon als ökonomische Sabotage. Streikt hingegen das Kapital, weil es höhere Profite will, so ist dies ein ökonomischer Sachzwang.

Ich glaube nicht, dass es einen voraussehbaren Weg gibt. Der Weg kommt, indem wir gehen.

Klage eines Flüchtlings im Asylland: Wann endlich darf ich sagen, was ich möchte, anstatt immer nur fragen zu müssen, was ich darf?

Bete und arbeite, sagte Benedikt von Nursia. Mach auch die Arbeit zum Gebet, sagte Luther. Bete um Arbeit, sagte Pfarrer N. zum Arbeitslosen.

Daß das Weltall finster, daß es schwarz sei, mache ihm Angst, vertraute ein alter Mann mir an. Meine Einfühlung ließ mich im Stich. Mir ist die Finsternis des Alls schnuppe. Ich habe nicht die Absicht, astronautische oder postmortale Ausflüge dorthin zu unternehmen.

Am Anfang ist Nacht. Alle kommen wir aus der Nacht eines Mutterleibes. Richtigerweise lassen die Juden den Tag mit der Nacht beginnen.

Goldene Regel: Was Regel ist, bestimmt das Gold.

Aber es kommt eine Auferstehung, die ganz anders wird als wir dachten. Aber es kommt eine Auferstehung, die ist der Aufstand Gottes gegen die Herren.

In früheren Zeit ist Lärm erzeugt worden, um böse Geister von Menschen und Häusern fernzuhalten. Die bösen Geister müssen sich phantastisch vermehrt haben bis heute – anders ist der unablässige Lärm, den wir machen, nicht zu erklären.

Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde, vielmehr vergleicht die Schrift ihn mit dem Winde.

Je weniger „Treu und Glauben“, desto mehr Gesetze, Vorschriften, desto mehr Kontrolle und Bürokratie, desto mehr Unsicherheit, Mafiosität aber auch.

Lebensziel Die schlechtesten Aphorismen sind es nicht, die davon träumen, auf Kalenderzetteln zu enden.

Und wieder das Gefühl, im Simulator meines eigenen Lebens zu sein. Aber bitte, es geht mir recht gut dabei, fast besser als ohne dieses Gefühl.

Atomgegner – wer ist denn einer? Jener, der Atomkerne zertrümmert, oder der, der eben dies weder tun noch gutheißen will? Man müßte die Atomkerne fragen können.

Wehe, wenn alle Menschen gut von euch reden! (Lukas 6.26) Doch gibt es auch selbstaufgesetzte Märtyrerkronen, aus Talmi und Papiermaché, Karnevalsmützen zum Verwechseln ähnlich. Gelassenheit also!

Westeuropäer empfinden Kirchengesänge oft als Ohren-Trance, als Hymnisches Theodosiakum.

Einen professionellen Schriftsteller kann ich mir nicht vorstellen, bemerkte allerdings Claude Simon, Nobelpreisträger für Literatur, ich jedenfalls bin Amateur.

Kann technokratische Disziplin uns vor dem Untergang retten oder ist sie schon dessen Beginn?

Wunder „Zart und genau“ meint ferner: die Wiederentdeckung des täglichen Wunders, das Außerordentliche des Selbstverständlichen, die Heiligung des Banalen, die Verwandlung des homo faber in den homo admirans.

Werden wir, was wir wünschen? Wünschen wir, was wir werden?

Wir Väter, dazu verdammt, unseren Kindern das Über-Ich aufzubürden: deswegen sind wir (welch zweifelhafte Ehre) so unentbehrlich für Staat und Gesellschaft.

Nie aber weiß man genau, was man denkt, bevor man nicht versucht hat, darüber zu reden.

Das Gerede von „Leistungsträgern“ beleidigt die Möbelträger, die Briefträger, die Gepäckträger.

Nichts zu machen: man muß sich durchsetzen können, von Geburt an. Die Geburt selbst ist ein Akt der Durchsetzung, der erste und der erfolgreichste von vielen.

Schonungsloser als Wünsche stellen Begierden uns bloß

Herr Schweizer Sogleich nach seinem Eintritt in den Himmel erkundigt er sich nach dem dortigen Auslandschweizerverein.

Statistik: Arme werden schneller krank, langsamer gesund und sterben früher als Begüterte.

Einschlafen als Ertrinken, einschlafen als Entfliegen.

Sachzwang frißt Menschenfleisch.

Daran, daß wir für andere wie für uns selbst nicht eingelöste Versprechen sind, sterben wir auch.

Gesucht sind Macher. Nötig wären Verhinderer.

Nicht Ägypten ist Fluchtpunkt der Flucht. Das Kind wird gerettet für härtere Tage. Fluchtpunkt der Flucht ist das Kreuz.

Gebetchen Herr, mach, daß ich nicht mißmutig werde, wenn ich beim Jassen verliere.

Sie gehe, sagt sie, ins Kino, um über fremdes Elend weinen zu können. Längst habe ihr eigenes keine Tränen mehr.

Einander wortverwandt: Treue und trauen vertrauen. Auch „Trauer“ vielleicht?

Welche wohltat einmal auch sagen zu dürfen: nein, er war nicht tüchtig und wechselte oft die stelle.

Die für die Mitwelt gefährlichsten Egoisten sind jene, die nicht einmal sich selbst zu achten, geschweige denn zu lieben vermögen.

Nachts hört er, schlaflos liegend, das Ticken in seinem Körper: die Zeitbombe Zeit.

Manchmal ist’s Verstorbenen anzusehen, daß selbst der Tod ein lachendes Gesicht haben kann.