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Die Probleme der Welt sind nicht lösbar durch eine Menschheit, die selber das größte Problem dieser Welt ist. Bleibt somit nur die Radikalalternative von Maurice Chappaz: "So man die Natur erhalten will, muß man den Menschen töten"?
Kurt MartiDer Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt und der Gott mit dem Antlitz des Menschen.
Kurt Marti"Immer": mehr als "immer wieder", aber weniger als "ewig", weil nach wie vor der Zeit verhaftet, was im, französischen "toujours" noch deutlicher wird.
Kurt MartiWer nicht Wurzeln hat, wächst in keine Zukunft. Wer eigenen Wurzeln aber nie entwächst, entfaltet sich nicht zum Neuen, zum Baum.
Kurt MartiNach meinen Beobachtungen fürchten und verdrängen Männer den Tod mehr als Frauen. Deshalb auch eignen sie sich besser zum Dienst in der Armee, diesem Männerbund, der den allgemeinen Ernstfall vorbereitet und den persönlichen verdrängen hilft.
Kurt MartiWie geht's Ihnen denn? Durchlöchert vom Leben, Durchzug bereits. Wie meinen Sie das? Nun ja, noch benimmt der Zerfall sich höflich und diskret.
Kurt MartiDie Kirche des Geistes sind unsere Körper, schrieb der Epileptiker einst nach Korinth (1. Korinther 6.19). Erst später: Kirchen aus Stein.
Kurt MartiMacher Gefragt sind "Macher". Wer sich einmal den Ruf als solcher erwerben konnte, hat alle Chancen aufzusteigen in den Kreis jener obersten Macher, die gar nichts machen.
Kurt MartiWar möglicherweise alles, ob grandios, ob kläglich, ein einziger Umweg? Und über uns weg eilen leichte Füße die Hintertreppe auf und nieder, während wir im Staub einer Geschichte versinken, die wir für Fortschritt gehalten haben.
Kurt MartiManchen bin ich einiges, einigen bin ich vieles schuldig geblieben. Und die Zeit läuft davon. Wessen Liebe kann das noch gut machen? Die meine nicht. Nein, die meine nicht.
Kurt MartiAuch ich kann nicht beten. Ich glaube, man sieht uns allen an, daß wir nicht beten können. Man sieht es auch denen an, die weiterhin beten oder zu beten meinen. Dennoch kann ich mir die Sprache einer besseren Zukunft nicht vorstellen ohne etwas wie Gebete.
Kurt MartiAuch durch die lange Nacht hindurch hat mein Körper mich unaufgefordert und erfolgreich gegen die Angriffe von Bakterien und Mikroben, gegen Zerfall und Fäulnis verteidigt. Was verspricht er sich von mir?
Kurt MartiMan muß hoffen, höre ich sagen: Ein Tonband, das man endlos abspielen läßt, um unsere Unfähigkeit zur Lebens- und Verhaltensumkehr munter zu übertönen (im Auto womöglich).
Kurt MartiDie christliche Utopie meint die Herrschaft der Liebe. Dennoch bleibt diese Utopie in bezug auf unsere Weltzeit realistisch: sie verkündet die Liebe als eine gekreuzigte.
Kurt MartiLeute, die auf uns böse sind, sind deshalb nicht böse Leute, sondern Leute, die auf uns böse sind - was uns selber noch lange nicht gut macht.
Kurt MartiEin Grab greift tiefer als die Gräber gruben, denn ungeheuer ist der Vorsprung Tod. Am tiefsten greift das Grab, das selbst den Tod begrub, denn ungeheuer ist der Vorsprung Leben.
Kurt MartiÜberall nimmt alles überhand. Je zerstörter unsere Sinne, desto sinnloser wird zerstört. Weder essen noch trinken noch Liebe machen bleibt heute, falls einem am Weiterleben gelegen ist, ohne Vorsichtsmaßnahmen möglich.
Kurt MartiFür die Behauptung, der Markt werde eines Tages die von ihm mitbewirkten Zerstörungen ökologisch korrigieren und wiedergutmachen, gibt es bisher keine Beweise, aber jede Menge Gegenbeweise.
Kurt MartiNur ein Narr wird den Ort unter der Hintertreppe für eine der Vorstädte Gottes halten. Noch kauern wir hier im Staub, im Abfall unserer Schuld.
Kurt MartiDie Konjugation hat recht: ohne Ich kein Du, kein Er, keine Sie usw. Nichts ist, wo nicht Ichs sind.
Kurt MartiArmbrustzeichen Das Eigenschaftswort "schweizerisch" meint eine spezifische Art, mit unseren Problemen nicht fertig zu werden.
Kurt MartiWie auch immer: Eines Tages nimmt der Tod uns der Zeit ab, so daß diese, um uns erleichtert, mit frischem Elan weitergehen kann.
Kurt MartiFür die Bourgeoisie ist Religion der Vorhang, der in ihren Tempeln das Allerheiligste, das Bild des Gottes Mammon verbirgt.
Kurt MartiIkonenmaler beten, bevor sie zu malen beginnen. Wogegen andere zu malen anfangen, weil sie nicht anders beten können als malend. Und nochmals andere malen, ohne an Beten zu denken. Bilder, die nachher sind wie Gebete.
Kurt MartiSchriftstellertreffen: Hier unter Kollegen darf jeder Autor sich ungezwungen bewegen: keiner hat die Bücher des andern gelesen.
Kurt MartiUnter der Hintertreppe der Engel lerne ich: Gewalt bleibt plump, summarisch, Liebe wird zart und genau. Ferner: jene ist unerbittlich, aber bestechlich, diese erbittlich, aber unbestechlich.
Kurt MartiDank dir, Bruder Unschlaf, der du mich mit alten Bildern und neuen Geschichten unterhältst.
Kurt MartiDurchreise Gott reist durch - durch uns hindurch. Vielleicht läßt er etwas mitlaufen von uns?
Kurt MartiZukunft sollen wir bauen? Viele fordern das jetzt. Doch hierbei denken manche bloß an die künftige Sicherung ihrer jetzigen Privilegien. Andere, forschere, bauen, so fürchte ich, Zukunft wie ein Unfall.
Kurt Marti