Zitate von Kurt Marti
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Vermutung Ein Gott, der kirchenförmig gedacht wird, hindert die Kirche daran, gottesförmig zu denken.

Selbst das Gebot, sich von Gott kein Bild zu machen, enthält bereits ein solches, nämlich das eines männlichen Gottes.

Geschlagen, gestreichelt vom Bewußtsein meiner Nichtswürdigkeit, tarne ich mich mit dem Habitus, dem „Anzug“ eines Stoikers, den ich überhaupt nicht mag.

Was soll der Vorwurf, daß jemand ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit habe? Als wäre Wirklichkeit etwas anderes als auch das gestörte Verhältnis mancher zu ihr.

Warum Warum schreiben Sie? Auf diese Frage kann ich in zwei Varianten nur immer dieselbe Antwort geben: a) Ich folge einem Schreibtrieb. b) Ich leide an einem Schreibtrieb Was sonst noch an Erklärungen, Begründungen, Rechtfertigungen vorzubringen wäre, sind Halbwahrheiten a posteriori

Oft laufen mir Überzeugungen wortlos davon. Behaglich breitet sich der anarchische Reichtum der Unordnung wieder aus.

Noch der Vorsatz, aufrichtig zu sprechen, zu schreiben, bedient sich der Grammatik eingebürgerter Unaufrichtigkeiten.

Denken, man weiß es, braucht Zeit. Zeit aber ist – heute jedenfalls – Geld. Also braucht Denken Geld. Doch will das Geld nicht, daß gedacht wird.

Lügen gibt es, die so schön, so phantastisch und spannend sind, daß es jammerschade wäre, wenn sie nicht erzählt worden wären – Triumph der Ästhetik über die Ethik.

In Tyrannum Wenn Gott ein Tyrann ist, muß man ihn stürzen. Sein Sturz wird zugleich zeigen, daß der Tyrann nicht Gott war, vielmehr ein Popanz tyrannisch Gesinnter, tyrannisch Gewillter.

Meinungsmacher verwenden die Meinung, die sie uns machten, hernach oft dazu, eine Politik zu machen, die wir nicht meinten.

In der Marktwirtschaft gelten Schriftsteller, so sie überhaupt etwas gelten, als Gewerbetreibende. Nur logisch, daß behördliche Betriebszählungen sie in die Statistik gewerblicher Betriebe einbeziehen wollen.

Frauschaft Vermutlich ist die Herrschaft Gottes, wie Jesus sie verkündet hat, mehr Frauschaft als wir bisher denken wollten.

Kommt, Freunde, doch auch ihr, meine Feinde: Äufnen und speisen wir den heimlichen Fonds der Resignation aneinander! Er wird verwaltet vom tüchtigsten Ökonomen, den die Welt kennt: vom Tod.

Im Schlaf nutzt der Körper die Abwesenheit des stets betriebigen und umgetriebenen Ichs, um die Schäden auszubessern, die dieses tagsüber angerichtet hat.

Wie leicht, ach, gerät man doch zwischen die eine Angst, daß etwas passieren könnte, und die andere Angst, daß es nicht passieren könnte.

Treue, die Verrat, Verrat, der Treue ist – radikaler, verstörender konnte die von Nietzsche angekündigte Umwertung aller Werte nicht ausfallen.

Hoffnung, ob christlich, ob sozialistisch: wenn zahnlos geworden, setzt sie ein Dogma als Kunstgebiß ein und säubert es täglich im Wasserglas der Ideologie.

Mir ist kein Glaubensbekenntnis einer christlichen Konfession bekannt, dessen Haupt- und Zentralsatz lautet: „Gott ist Liebe“ (Johannes 4.8.16). Dementsprechend sieht die Kirchen- und Konfessionsgeschichte auch aus.

Extra caritatem nulla salus – „Außerhalb der Kirche kein Heil.“ Neutestamentlich müßte der Satz lauten: „Außer der Liebe kein Heil.“

„Der da oben“? Nicht weniger: der da unten, die da hinten, das da vorne – verläßliches Dunkel, dem hie und da eine flüchtige Klarheit entblitzt.

Rotten wir die Fauna vielleicht deswegen aus, damit sie sich nie wird erdreisten können, die menschliche Spezies zu überleben und deren Selbstvernichtung als Befreiung zu feiern?

Mehr und mehr erschöpft mich nicht enden wollende Trauer, sagte er, doch hat mein Körper noch nicht die passende Krankheit gefunden für sie. Inzwischen bin ich gesund.

Heillos gesund überlebt der kirchliche Apparat das Verschwinden Gottes aus ihm. Er hat es nicht einmal bemerkt.

Gott, so denkt man oft, so verkünden Eiferer lauthals, sei Antwort. Spröder sagt die Bibel, daß er Wort sei. Und wer weiß, vielleicht ist er meistens Frage: die Frage, die niemand sonst stellt.

Unerbittlich zerstören Nutzen und Nutzung diesen Planeten. Das Nutzlose allein hat noch Erbarmen mit uns.

Unentwegt stacheln Wirtschaft und Schulen den, wie sie sagen, „gesunden“ Ehrgeiz an. Als wäre Ehrgeiz etwas anderes als eben – Geiz, d. h. verweigerte Solidarität. Deswegen ist, wie Martin Buber in einem Gespräch bemerkte, Erfolg keiner der Namen Gottes.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft, ist Herrlichkeit / Fraulichkeit in Ewigkeit. Amen.

Sinnlicher Akt Immerzu tut man dergleichen, als lese ein Mensch direkt mit seinem Geist. Irrtum: Wir lesen mit den Augen, mit Sinnesorganen. Lesen ist zunächst ein sinnlicher Akt: Einer der seltenen Prosaautoren, die das begriffen haben, ist Arno Schmidt.

Automobilmachung Fast alle haben Autos und werden, wenn es so weit ist, fliehen wollen mit ihnen. Ich, ein Autoloser, sitze bereits in der Falle, in die sie dann erst noch fahren müssen.

Obschon er aufgehört hatte, Herr der Lage zu sein, blieb eine Katastrophe aus, weil sie sich mit ruhiger Umsicht als Frau der Lage bewährte.

Nein, vom Tod wissen wir nichts. Seriös bleibt allein die Tautologie: Der Tod ist der Tod ist der Tod.

Bin, der mich sagen hört, „umsonst“ – heißt „gratis“, doch auch „vergeblich“ -, Gnade wie Nichtigkeit gleichermaßen.

Mit Geld verhält sich’s ähnlich wie mit Gott: Noch ehe wir lernen, mit ihm umzugehen, geht es mit uns um.

Gefragt, weshalb er schreibe, gab er zur Antwort: Weil ich zu faul bin zum, Lesen. Ein Buch, das zu lesen ich Lust haben könnte, schreibe ich mir. Ist es geschrieben, brauch ich’s nicht mehr zu lesen.

Da Gott verschiedene Kostgänger hat, mußte er auch Diätkoch werden. Seine Schonkost wird vornehmlich in Kirchen serviert.

Das Bestehende, wie manche es rühmen und verteidigen, ist, sieht man näher zu, die Lizenz zur weiteren Zerstörung dessen, was besteht.

Älter als „Schriftsteller“ ist der Begriff „Autor“, lateinisch „auctor“. Zu Grunde liegt ihm das Verbum „augere“, vermehren. Autoren, Vermehrer also – von Wörtern? Gedanken? Büchern? Und gleich hat man die gräßliche Frankfurter Buchmesse vor Augen.

Wie der Mensch ist auch Gott zur Ware geworden: Religion ist die Branche, die sie umsetzt.

An manchen Tagen fressen die kleinen die großen Fragen auf. An anderen Tagen verschlingen die großen Fragen die kleinen. Doch hinterher stellt sich nicht selten heraus, daß die kleinen große, die großen kleine Fragen waren.

Zweck der Neutronenbombe: die Entmenschung der Städte, Fabriken, Siedlungen. Endlich hat die Zivilisation der Sachwerte den ihr adäquaten Ausdruck gefunden.