Zitate von Luc de Clapiers
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Wenn unsere Freunde uns Dienste erweisen, so denken wir, sie schuldeten sie uns als Freunde, ohne zu bedenken, daß sie uns ihre Freundschaft nicht schuldig sind.
Hätten wir ohne Leidenschaft die Künste gepflegt? Hätten wir mit dem Verstand allein gefunden, was uns not tut, erkannt, welche Gaben in uns ruhen, was alles wir vermögen?
Wir kennen nicht den Reiz gewaltiger Erregungen. Menschen, deren stürmisches Leben wir beklagen, verachten unsere Ruhe.
Wenn es um den Vorteil geht, sind wir alle hellsichtig, und es ist dann fast unmöglich, uns durch List zu täuschen.
Die Ratschläge, die man für die weisesten hält, sind unserer Lage am wenigsten angemessen.
Die Lieblinge des Glücks und des Reichtums nennen wir unglücklich und können uns trotzdem nicht von unserem Ehrgeiz befreien.
Wir sind bestürzt über Rückfälle und betroffen, wenn wir erkennen, daß selbst äußerstes Unglück uns von unseren Fehlern nicht zu heilen vermag.
Ein Lügner heißt der Mensch, der nicht zu täuschen versteht, und ein Schmeichler derjenige, der nur die Dummköpfe anzuführen weiß.
Es gibt vielleicht keine Wahrheit, welche nicht für irgend einen dunklen Geist der Stein des Anstoßes ist.
Gewissen, Ehre, Keuschheit, Liebe und Achtung der Menschen sind käuflich, und Freigebigkeit vermehrt nur die Vorteile des Reichtums.
Wenn ein verständiger Mensch die Nützlichkeit eines Gedankens nicht einsieht, ist er wahrscheinlich falsch.
Geistige Mittelmäßigkeit und Bequemlichkeit machen mehr Menschen zu Philosophen als das Denken.
Alle Welt maßt sich Recht über einen Kranken an, Priester, Ärzte, Diener, Fremde und Freunde. Ja bis herunter zum Wärter glaubt jeder, ihn beherrschen zu können.
Man darf den Leser nicht vorhersehen lassen, was man ihm sagen will, aber man muß ihn dazu bringen, den Gedanken selbst zu finden, denn dann achtet er uns, weil wir denken wie er, aber später als er.
Die Frauen sind meist eher eitel als temperamentvoll, eher temperamentvoll als tugendhaft.
Selbst die schlauesten Köpfe sind leicht zu überlisten, wenn man ihnen anbietet, was ihren Verstand überschreitet oder ihr Herz verführt.
Einem Mann, der in der großen Welt lebt, steht es nicht frei, den Frauen zu huldigen oder nicht.
Kennzeichen des treffenden Ausdrucks: auch das an sich Zweideutige gewinnt eindeutige Aussage.
Das Gewissen ist im starken Charakter unanfechtbar, zart im schwachen, unsicher im schwankenden – also eine Stimme der Empfindung, die uns beherrscht, der Meinungen, die uns regieren.
Der Dümmste von allen ist jener, der sich der Narretei verschreibt, um bekannt zu werden.
Wir wissen unseren Freunden für die Schätzung unserer guten Eigenschaften wenig Dank, wenn sie auch nur wagen, unsere Fehler wahrzunehmen.
Wir haben nicht genug Eigenliebe, um die Geringschätzung, mit der uns andere bedenken, zu verachten.
O Sonne, o Himmel, wer seid ihr, deren Geheimnis wir erlauscht, deren Gesetz wir erkannt haben? Blinde und vielleicht gefühllose Werkzeuge in der Hand des Schöpfers. Verdient die Welt unsere Ehrfurcht?
Puritanisch strenge Moral kann die Lebenskraft des Geistes vernichten, wie die Jünger Äskulaps manchmal den ganzen Körper zugrunde richten, um eine leichte, vielleicht nur scheinbare Krankheit zu beseitigen.
In den gehobenen Gesellschaftsschichten gibt es vielleicht mehr oberflächliche Menschen als in den Klassen, die vom Reichtum nicht verwöhnt sind.
Eigennutz, nicht Verstand, beflügelt die Unterhaltung. Der Verstand ist nur insofern reizvoll, als er das Spiel der Leidenschaften lenkt, ohne selbst zur triumphierenden Leidenschaft zu werden.
Die blendenden Kritiken sind oft nicht vernünftig. Montaigne hat Cicero getadelt, weil er nach großen Taten für den Staat noch durch seine Beredsamkeit berühmt werden wollte, aber Montaigne bedachte nicht, daß Cicero jene großen Taten eben durch seine Beredsamkeit vollbracht hatte.
Man sollte uns wenigstens jene Fehler verzeihen, die ohne unser Mißgeschick keine wären.
Der brennende Ehrgeiz verbannt von Jugend an alle Vergnügungen, um allein zu herrschen.
Ein gefräßiger Mensch, der schlecht verdaut – das ist wohl ein getreues Bild der Geistesart der meisten Gelehrten.
Warum zieht uns die Jugend mehr an als das Alter? Eine unnütze Frage. Kaum jemand kann angeben, warum er diesen achtet, jenen liebt, und was er an sich selbst am meisten schätzt.
Alle, die ein schändliches Gewerbe treiben, wie Diebe und Dirnen, rechnen sich dies zur Ehre an und nennen die ehrlichen Leute Narren. Die meisten von uns verachten die Anständigkeit, die wenigsten den Ruhm.
Was Anmaßung bei den Schwachen ist, das ist Aufschwung bei den Starken, wie die Kraft der Kranken Raserei und die der Gesunden Lebensmut ist.
Man leitet die Kinder an zu Furcht und Gehorsam; Geiz, Stolz oder Furchtsamkeit der Väter schulen sie ion Sparsamkeit, Hochmut oder Unterwürfigkeit. Man ermutigt sie, auch noch nachzubeten, was andere sagen: niemand denkt daran, sie selbständig, kühn und unabhängig zu machen.