Zitate von Nicolas Chamfort
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Frankreich, das Land, wo es oft nützlich ist, seine Laster sehen zu lassen, und immer gefährlich, seine Tugenden zu zeigen.
Man kann unmöglich in der Welt leben, ohne von Zeit zu Zeit Komödie zu spielen: es nur im Notfall zu tun, unterscheidet den anständigen vom unanständigen Menschen.
Was ist eine Geliebte? Eine Frau, bei der man alles vergißt, was man sonst auswendig weiß, das heißt alle Fehler ihres Geschlechts.
Ach, mein Freund, ich verlasse diese Welt, in der Herzen gebrochen oder zu Stein werden.
Wer weiß, daß er höherer Gefühle für fähig ist, hat das Recht, eher von seinem Charakter als von seiner Stellung auszugehen, um nach Verdienst behandelt zu werden.
Die Liebe macht mehr Vergnügen als die Ehe. Romane sind auch unterhaltender als Geschichte.
Es bedarf oft des Anlasses der Eitelkeit, damit der Mensch die ganze Energie seiner Seele zeigt. Holz zum spitzen Stahl ergibt den Wurfspieß, zwei Federn am Holz den Pfeil.
Die meisten Bücher von heute scheinen in einem Tag aus den Büchern von gestern entstanden zu sein.
Die meisten Leser stecken ihre Bücher in ihre Bibliothek, die meisten Schriftsteller stecken ihre Bibliothek in ihre Bücher.
Die Philosophie entdeckt die Tugenden, die der Moral und Politik nützen. Beredsamkeit macht sie populär, Poesie sprichwörtlich.
Das Schweigen eines Menschen, der bekannt ist dadurch, daß er etwas zu sagen hat, macht mehr Eindruck als das Geschwätz der Redseligen.
Man hat gesagt, daß, wenn Molière seine Werke heute geschrieben hätte, die meisten ohne Erfolg geblieben wären. Das ist eine Dummheit. Hätte er denn Sitten gegeißelt, die nicht existieren? Er hätte die unseren gegeißelt!
Das Leben ist eine Krankheit, von der wir uns alle 16 Stunden durch den Schlaf erholen. Der Schlaf ist das Linderungsmittel, der Tod das Heilmittel.
Man verfälscht seinen Geist, sein Gewissen, seine Vernunft, wie man seinen Magen verdirbt.
Das beschauliche Leben ist oft elend. Man muß mehr handeln, weniger denken und sich selbst fortwährend studieren.
Die Kunst der Parenthese ist eins der großen Geheimnisse der Beredsamkeit in der Gesellschaft.
Vorurteil, Eitelkeit, Berechnung beherrschen die Welt, wer nur Vernunft, Wahrheit, Gefühl folgt, hat fast nichts gemein mit der Gesellschaft. Er muß in sich selbst sein ganzes Glück suchen und finden.
Wer sein Glück zu sehr von seiner Vernunft abhängig macht, wer es prüft und sozusagen seine Genüsse kontrolliert und nur die ausgesuchtesten sich noch erlaubt, hat schließlich gar keines mehr.
Die Frauen scheinen eine Hirnwindung weniger, eine Herzensfaser mehr zu haben als die Männer.
Wenig Philosophie führt dazu, die Gelehrsamkeit zu verachten; viel Philosophie führt dazu, sie zu schätzen.
Was ich gelernt habe, habe ich vergessen; das wenige, was ich noch weiß, habe ich erraten.
Die öffentliche Meinung ist eine Gerichtsbarkeit, die ein vernünftiger Mensch nie absolut anerkennen, aber auch nie ganz ablehnen sollte.
Ein Mann von Rang muß die allgemeine Achtung besitzen, ohne sie erstrebt zu haben, ja fast gegen seinen Willen.
Die Natur hat mir nicht gesagt: Sei nicht arm! Noch weniger: Sei reich! Aber sie ruft mir zu: Sei unabhängig!
Sollte das Glück sich mit mir einlassen, so muß es die Bedingungen annehmen, die mein Charakter ihm stellt.
Die absurdesten Gewohnheiten gehen unter dem Wort: Es ist so der Brauch. Das ist genau dasselbe Wort, womit die Hottentotten antworteten, wenn die Europäer sie fragten, warum sie Heuschrecken essen und das Ungeziefer, womit sie bedeckt sind, verschlingen. Sie sagten auch: So ist der Brauch.
Als der französische Schriftsteller Bernard Le Bovier de Fontenelle im Sterben lag, fragte man ihn: „Wie geht’s?“ – „Es geht nicht“, antwortete er, „ich gehe.“
Genießen und genießen lassen, ohne sich noch sonst jemandem zu schaden – das ist die ganze Moral.
Man müßte jeden Morgen eine Kröte schlucken, wenn man sichergehen wollte, bis zum Abend nichts Ekelhafterem zu begegnen.
Man riskiert Ekel, sähe man, wie Politik, Gerechtigkeit und das eigene Abendessen zustande kommen.
Man ärgert sich oft über die Gelehrten, welche sich von der Welt zurückziehen; man will, daß sie Interesse an der Gesellschaft nehmen, von der sie doch fast gar keine Vorteile haben; man will sie zwingen, der Ziehung einer Lotterie beizuwohnen, zu der sie kein Los haben.
Alle Leidenschaften übertreiben, und wären keine Leidenschaften, wenn sie nicht übertrieben.
Wenn die Dummköpfe aus ihren Stellungen ausscheiden, so bewahren sie, ob Minister oder Kommis, eine lächerliche Dünkelhaftigkeit und Wichtigkeit.
Die Maximen bedeuten für die Lebensführung soviel wie die Meisterregeln für die Kunst.
Mit vielen Ideen ist man noch kein geistvoller Mann, wie mit vielen Soldaten noch kein guter Feldherr.
„In der Welt“, sagt Monsieur X., „haben sie drei Sorten von Freunden. Freunde, die sie lieben, Freunde, die sich nicht um sie kümmern, und Freunde, die sie hassen.“
Der Mensch kann nach Tugend streben, aber nicht ernstlich glauben, die Wahrheit zu finden.
Der einsichtige Mensch spielt eine traurige Rolle. Er verletzt seine Freunde, indem er ihnen Unglücksfälle voraussagt, die sie sich durch ihren Leichtsinn zuziehen.
Es gibt wenige Laster, durch die man sich seine Freunde so verscherzen kann wie durch große Vorzüge.
Ist es nicht spaßhaft zu betrachten, daß der Ruhm vieler großer Männer darin beseht, ihr ganzes Leben der Bekämpfung von Vorurteilen und Dummheiten gewidmet zu haben, und welche man eigentlich nie in menschlichen Köpfen anzutreffen geglaubt hätte?