Rainer Kohlmayer Zitate
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Geschlechtsspezifische Komplimente. – Er findet sie herrlich, sie findet ihn dämlich.
Rainer KohlmayerEros und Euros. – Die Einigung Europas hat eine ungeheure Komplizierung der Bürokratie bewirkt. Relativ problemlos klappt die Einigung Europas bisher nur in Banken und Betten.
Rainer KohlmayerDer Wirklichkeit „ins Auge“ blicken. Was kann dabei schon herauskommen? Höchstens ein Selbstporträt.
Rainer KohlmayerWenn man sagt „Ich gehe davon aus, daß“ behauptet man eigentlich, daß man, im Gegensatz zu den andern, schon am Ziel war.
Rainer KohlmayerNichts zu lachen. – Wer mit sich allein ist, denkt nicht in Polaritäten. Das Alleinsein beseitigt die Kontraste.
Rainer KohlmayerLeber kaputt: Promilleus.
Rainer KohlmayerNeugeborenen zur geflissentlichen Beachtung empfohlen. – „Unser Planet bietet abwechslungsreiche Tätigkeit in gut funktionierendem Schlachthaus, mit Aufstiegsmöglichkeiten.“
Rainer KohlmayerVorübergehende Bindung. – Als sich die Liebe nicht einstellte, wurde sie eingestellt.
Rainer KohlmayerProzeß der Zivilisation. – Gibt es eine nachdrücklichere Anleitung zur Selbstbeherrschung, Demut, Bescheidenheit als den täglichen Stau auf der Autobahn? Aber die Auslese ist hart: entweder heiligmäßige Sanftmut oder früher Herzinfarkt.
Rainer KohlmayerGlück mit grünem Punkt. – Statt der sperrigen Beziehungskisten von früher gibt es jetzt leicht ersetzbare und voll recyclingfähige OrgasmusspenderInnen.
Rainer KohlmayerPraxisbezogene Theorie. – Als das Karussellpferd müde, störrisch und aufsässig wurde, machte der Menageriebesitzer eine kleine Pause und zog dem Tier den Doktorhut der Karussellpferdtheorie über den Kopf. Stolz trabte es weiter.
Rainer KohlmayerSchreibtischtäter. – Er wurde wegen Vorspiegelung richtiger Tatsachen mit einem Schreibverbot belegt.
Rainer KohlmayerEine Frage des Standpunkts. – Mancher rühmt sich, er stünde auf den Schultern der Vorfahren, während er in Wirklichkeit der Zukunft auf dem Fuß steht.
Rainer KohlmayerDie Jugend ist ein schlechter Verteidiger, scharfer Ankläger und unerbittlicher Richter. Nach den üblichen Jugendsünden verschiebt sich mit dem Älterwerden die Begabung immer mehr zugunsten der Verteidigung.
Rainer KohlmayerZwischen der Ehe und einem Verhältnis besteht ein ähnlicher Unterschied wie zwischen Grammatik und Stilistik. Jene handelt von den Pflichten, diese von den Freiheiten, jene von der Norm, diese von den Abweichungen. Ohne jene wären diese nicht möglich.
Rainer KohlmayerAvantgarde. – Rasch altern ist der sicherste Weg, um seiner Zeit vorauszueilen.
Rainer KohlmayerDer Kollege. – Er war so nörglerisch, daß man seine gelegentliche Freundlichkeit für Ironie hielt.
Rainer KohlmayerPoet als Seismograph. – Im Glück das Erdbeben voraushören, in der Liebeserklärung die Gleichgültigkeit des biologischen Programms vernehmen, in den Zwängen der Alltagsroutine das aggressive Potential der Erlösung entdecken. Darwin, Marx, Freud, Nietzsche – die mythischen Poeten ihrer Epoche.
Rainer KohlmayerPromillegedanken. Tee mit Rum: Promillentee.
Rainer KohlmayerEskapis-Muse. – Es gibt einen lyrischen Eskapismus, den man am besten als „Druckmäusertum“ zusammenfaßt.
Rainer KohlmayerPosthumor. – „Empfänger verweigert Annahme der Sendung wegen Ablebens.“
Rainer Kohlmayer„Ach, du…“ – Die schönsten Abkürzungen sind die stammelnden Tautologien der Verliebten.
Rainer KohlmayerHagestolz. – Er fürchtete lebenslang die Beziehung zwischen Umarmung und Verarmung.
Rainer KohlmayerProvinzprofessor, vor dem Spiegel übend. – Es gelang ihm mehrmals, das Wort „Niveau“ auszusprechen, ohne rot zu werden.
Rainer KohlmayerAutogenes Denken für Anhänger des sprachlichen Determinismus. – „Haha!“ lachte er – und wirklich, die Welt kam ihm komisch vor. „Au!!“ schrie er – und wirklich – es tat ihm weh.
Rainer KohlmayerErste Instanz. – Der Prozeß der Meinungsbildung endet meist damit, daß ein Vorurteil gefällt wird.
Rainer KohlmayerSitzungen. – Was ist schlimmer: Das matschige Hirn oder das matschige Rückgrat?
Rainer KohlmayerEntsprechend dem Wort „Redewendungen“ für direkte, anschauliche Ausdrücke könnte man das Wort „Redewindungen“ für verlogene Umschreibungen verwenden.
Rainer KohlmayerTrotzalter der Vernunft. – „Unsere nationale und kulturelle Identität…“
Rainer KohlmayerVarianten der Pädagogik. – Erstens, die Kunst, Schwieriges einfach darzustellen: Das Genie. Zweitens, die Kunst, Schwieriges schwierig darzustellen: Der Professor. Drittens, die Kunst, das Einfache schwierig erscheinen zu lassen: Der deutsche Professor.
Rainer KohlmayerRotkäppchen und Direktor Wolf. – „Vorgesetzter, warum hast du so kleine Ohren?“ – „Wie bitte?“
Rainer KohlmayerGott lacht über die menschlichen Schwächen, der Teufel über die menschlichen Stärken.
Rainer KohlmayerRaum ohne Hirn schafft Volk ohne Raum.
Rainer KohlmayerNorden und Süden. – Offensichtlich ist auch der Globus unterhalb der Gürtellinie besonders empfindlich. Solange jedoch Promoter, Schiedsrichter, Trainer, Champions ausschließlich aus dem Norden kommen, sind praktisch alle Schläge erlaubt.
Rainer KohlmayerSelf-destroying pedagogy. – Am schnellsten veralten jene Lehren, die zum Nutzen der Jugend aus der Vergangenheit gezogen werden.
Rainer KohlmayerDurchblick gewinnen. – Man verschiebt die Grenze der Intransparenz.
Rainer KohlmayerLetzter Wille. – Der zynische Bankrotteur hinterließ nichts als ein Konto bei einer Schweizer Samenbank. „Um wenigstens meine Gläubigerinnen zu befriedigen…“
Rainer KohlmayerInkognito. – Seine Wahrheitsliebe ging nicht so weit, dass er die Perücke abgelegt hätte. Aber immerhin trug er sie unfrisiert.
Rainer KohlmayerVorsicht, Einfallgefahr. – Aphorismen sind die ruinöseste Art des Denkens. Sie blockieren Einbahnstraßen und bringen Fassaden ins Wanken.
Rainer KohlmayerMahlgeräusche aus der welthistorischen Recyclinganlage. – „Forrrt – Schritt – Forrrt – Schrott – Forrrt – Schritt – Forrrt – Schrott…“
Rainer KohlmayerOscar Wilde: Gewaltiger Körperbau, in dem aber nur der Mund, also die Sprech- und Kauwerkzeuge ungewöhnlich entwickelt waren. Eine Engelszunge in einem Koloß. Daß selbst die Zähne noch miserabel waren – gelb und lang und dünn, – konzentrierte seine Fähigkeiten noch mehr auf den verbalen Charme.
Rainer KohlmayerWas hast du zu sagen? – Die Arbeitsteilung geht so weit, daß diejenigen, die das Sagen haben, nichts mitzuteilen, und diejenigen, die etwas mitzuteilen hätten, nichts zu sagen haben.
Rainer KohlmayerReservatio mentalis. – Das ehrlichste Mitleid ist doch das Selbstmitleid. Es ist der Zwilling der Schadenfreude.
Rainer KohlmayerWas in der Antike das Schicksal bewirkte, leistet heute die Statistik: Sie vernichtet Helden und Schurken.
Rainer KohlmayerHartnäckige Reue. – Der Versuch, den Ast, auf dem man saß, wieder an den Baum zu sägen.
Rainer Kohlmayer-ismus. – Je nackter die Tatsachen, desto abstrakter die Lügen.
Rainer KohlmayerEhebündnis. – „Er ist mit einer Fahnenstange verheiratet. Sie zeigt immer die gleiche aufrechte und hölzerne Treue.“
Rainer KohlmayerSchwamm drüber. – Herr K. führte ein Theaterstück auf, in dem die Feigheit der Intellektuellen grausam deutlich angeprangert wurde. Als die Kritiker überraschenderweise schrieben, dem Stück mangele es an Mut und Klarheit, meinte Herr K. nachdenklich: „Sie haben begriffen.“
Rainer KohlmayerDer Vamp. Die Frau. Das Weib. – Die deutsche Sprache verhindert mit ihren willkürlichen Genusartikeln, daß die Allmacht der Geschlechtlichkeit im Bewußtsein Fuß faßt. Ein neurotisches Ablenkungsmanöver.
Rainer KohlmayerNaturbusen. – Der junge Goethe schwärmte vom Busen der Natur – im Singular. Der alte Goethe wußte, daß die Natur viele Busen hat.
Rainer Kohlmayer