Zitate von Rainer Kohlmayer
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Bis zum Beweis des Gegenteils. – „Wenn ich allein bin, bin ich der bescheidenste Mensch“, notierte er in sein Tagebuch.
Schwamm drüber. – Herr K. führte ein Theaterstück auf, in dem die Feigheit der Intellektuellen grausam deutlich angeprangert wurde. Als die Kritiker überraschenderweise schrieben, dem Stück mangele es an Mut und Klarheit, meinte Herr K. nachdenklich: „Sie haben begriffen.“
Was in der Antike das Schicksal bewirkte, leistet heute die Statistik: Sie vernichtet Helden und Schurken.
Zahlreiche Erfolge bei der Olympiade. – Statt an Kinder, Kirche, Küche denken die deutschen Frauen jetzt nur an Gold, Silber und Bronze. Sie sind anscheinend immer noch gedopt.
Einfälle können Mauern zum Einsturz bringen. Aber in der ewigen Wiederkehr des Gleichen ist es eigentlich egal, welche Mauern und Metaphern bei den plappernden Säugetieren gerade Mode sind.
Theorie und Praxis. – Geisteswissenschaftler sprechen von Kreativitätsmodellen und dergleichen im Brustton der Überzeugung. Wenn sie dann praktische Beispiele geben sollen, ertönt plötzlich eine dünne Fistelstimme.
Der Wiedergewählte. – Ein unerbittlicher Kämpfer für die Mittelmäßigkeit – die eigene und die der anderen.
Glück mit grünem Punkt. – Statt der sperrigen Beziehungskisten von früher gibt es jetzt leicht ersetzbare und voll recyclingfähige OrgasmusspenderInnen.
Im Frühtau zu Berge. – Spätaufsteher müssen die Flurschäden bereinigen, welche die Frühaufsteher angerichtet haben.
Varianten der Pädagogik. – Erstens, die Kunst, Schwieriges einfach darzustellen: Das Genie. Zweitens, die Kunst, Schwieriges schwierig darzustellen: Der Professor. Drittens, die Kunst, das Einfache schwierig erscheinen zu lassen: Der deutsche Professor.
Fifty-Fifty. – Das Jesuswort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ wurde von den staatlichen und kirchlichen Autoritäten früherer Jahrhunderte meist so interpretiert, daß der Einzelmensch möglichst gar nichts mehr behalten sollte.
Familienstand? – „Mittelmäßig“, schrieb ein ehrlicher Kandidat ins Kästchen des Fragebogens.
Loreley in der Fußgängerzone. – „Sie hatte einen so aufreizenden Schaukelgang, daß man sehkrank wurde.“
Marketing-Ausbildung für Verbraucher. – „Hier, nimm dieses Lexikon – darin steht die ganze Welt.“ „Aber – das ist doch ein Versandkatalog.“ „Richtig. Deine Welt.“
Aus der Nähe wird alles tragisch. Aus der Vogelperspektive wird alles komisch. Aus der Fernsehperspektive wird alles gleichgültig.
Zwischen Kunst und Geschmack gibt es durchaus Verbindungen; die engste ist wohl die zwischen Kunst und – Geschmacksverletzung.
Poetik des Aphorismus. – Ein widerspenstiger Gedanke kroch aus dem Kontext davon, um sich in der freien Luft in einen Aphorismus zu verwandeln.
Erste Instanz. – Der Prozeß der Meinungsbildung endet meist damit, daß ein Vorurteil gefällt wird.
Konventionsverstoß. – Er warf ihm den Fehdehandschuh hin. Der andere warf ihm die Perücke vor die Füße. Ratlos blickten sie einander an.
Literatur und Literaturvorlesung. – Dort die Rohkost, hier das Verdaute. Welches Menu empfehlen Sie mir?
Tierischer Ernst? – Ungerechtigkeit der Sprache: Nur die Tiere sind tierisch ernst, die den Menschen ausgeliefert sind. Der tierische Ernst der Tiere hat also dieselbe Ursache wie der tierische Ernst von Menschen: Folge einer Beschädigung.
Meiner Meinung nach. – Das lockere Wörtchen „Meinung“ hat, im Gegensatz zur strengeren „Wahrheit“, eine dunkle Vorliebe für das Possessivpronomen. Ob zwischen „Meinung“ und „mein“ nicht gar eine inzestuöse Verbindung besteht?
Die Karrieristen des Nationalsozialismus hätten auch ohne diesen Karriere gemacht. Die Menge an persönlicher Bosheit und Dummheit der Menschen scheint immer etwa gleich groß bleiben zu müssen.
Eskapis-Muse. – Es gibt einen lyrischen Eskapismus, den man am besten als „Druckmäusertum“ zusammenfaßt.
Wer hat die Abkürzungen erfunden? – Die Tiere: „Muh!“ „Wauwau!“ „Miau!“ „Kikeriki!“
Dialektik. – Da er sich nach jahrelanger Forschung und Lehre nur noch in seinem Fachjargon fließend ausdrücken konnte, sah er sich gezwungen, für seine Alltagsgespräche einen Kommunikationsexperten zu Rate zu ziehen.
Die Jugend ist ein schlechter Verteidiger, scharfer Ankläger und unerbittlicher Richter. Nach den üblichen Jugendsünden verschiebt sich mit dem Älterwerden die Begabung immer mehr zugunsten der Verteidigung.
Unauffällige Beleidigungen. – „Es war wieder einmal selten schön bei Ihnen. Haben Sie nochmals viehlen Dank. Grüßen Sie auch Ihre liebe Frau gans herzlich.“
Die Berechenbarkeit des Nonkonformisten. – Sobald er Rückenwind spürt, wechselt er die Laufrichtung.
Bitte hinten anstellen. – Der Dümmere leidet, wenn er Klügeren nachgeordnet wird. Der Klügere leidet, wenn ihm Dümmere vorgesetzt werden.
Mahlgeräusche aus der welthistorischen Recyclinganlage. – „Forrrt – Schritt – Forrrt – Schrott – Forrrt – Schritt – Forrrt – Schrott…“
Die Vokale sind die Augen, durch die das Wort dich anblickt. Ein Wort, dem der Vokal fehlt, ist blind geworden. Ja, blnd gwrdn.
Neugeborenen zur geflissentlichen Beachtung empfohlen. – „Unser Planet bietet abwechslungsreiche Tätigkeit in gut funktionierendem Schlachthaus, mit Aufstiegsmöglichkeiten.“
Die sanfte Tendenzwende zur leistungsorientierten Pädagogik. – Man schlägt den Esel nicht mehr; man streichelt den Sack, den er schleppen soll.
Wohlbestallt. – Die Dichter sind die Rennpferde, die Literaturprofessoren die Jockeys. Jene erhalten ein Stück Zucker, diese eine Professur.