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Ach, wie gut ist es doch, unter lesenden Menschen zu sein. Warum sind sie nicht immer so?
Rainer Maria RilkeIrgendwo blüht die Blume des Abschieds und streut immerfort Blütenstaub, den wir atmen, herüber; auch noch im kommendsten Wind atmen wir Abschied.
Rainer Maria RilkeBerlin hat nicht die Art, einem eins nach dem andern beizubringen; man bekommt alles zugleich ins Haus geworfen, man soll alles leisten und sehen, ohne zum Bewusstsein zu kommen.
Rainer Maria RilkeTage, wenn sie scheinbar uns entgleiten Tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten, gleiten leise doch in uns hinein, aber wir verwandeln alle Zeiten; denn wir sehnen uns zu sein...
Rainer Maria RilkeDie Reichen und Glücklichen haben gut schweigen, niemand will wissen, was sie sind. Aber die Dürftigen müssen sich zeigen, müssen sagen: ich bin blind oder: ich bin im Begriff es zu werden.
Rainer Maria RilkeKunst hervorzubringen ist ein schlichtester und härtester Beruf, aber zugleich ein Schicksal, und, als solches, größer als jeder von uns, gewaltiger und bis jetzt unermeßbar.
Rainer Maria RilkeUnd der Letzte geht vielleicht vorüber und erkennt mich nicht obzwar ich brenn. Ach die Bäume hängen glühend über und ich fühle keinen Fühlenden.
Rainer Maria RilkeAuch dem blonden Kinde kam es in sein Herz, sein waldseereines, wie das dunkle Ahnen eines großen Glückes oder Grames.
Rainer Maria RilkeDie Kinder müssen wieder unter den schönen Jugendbildnissen ihrer Mütter aufwachsen, dann werden die Zeiten wieder besser werden: die Kinder werden ein besseres Kind sein und die Mütter ein sanfteres, unverstörteres Altern haben.
Rainer Maria RilkeIch will mich entfalten. Nirgends will ich gebogen bleiben, denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin.
Rainer Maria RilkeAndere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. [...] Ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
Rainer Maria RilkeEs gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere.
Rainer Maria RilkeJust ging ein Glück vorüber, als ich schlief, Und wie ich träumte, hört ich nicht: Es rief.
Rainer Maria RilkeGeliebtsein heißt aufbrennen. Lieben ist: Leuchten mit unerschöpflichem Öle. Geliebtwerden ist vergehen, Lieben ist dauern.
Rainer Maria RilkeWir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria RilkeMit der Zeit steht in einem Buch das Zehnfache von dem, was es wirklich gedruckt enthält; ich lese meine eigenen Erinnerungen und Gedanken immer wieder mit.
Rainer Maria RilkeNun treibt die Staft schon nicht mehr wie ein Köder, der alle aufgetauchten Tage fängt. Die gläsernen Paläste klingen spröder an deinen Blick.
Rainer Maria RilkeWas anderes ist unser Metier, als Anlässe zur Veränderung rein und groß und frei hinzustellen?
Rainer Maria RilkeDenn wir sind nur die Schale und das Blatt: Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht.
Rainer Maria RilkeLiebhaben, das heißt nichts annehmen, von nirgends, alles vergessen und von einem Menschen alles empfangen wollen, das was man schon besaß und alles andere.
Rainer Maria RilkeDie Katzen sind Katzen, kurz gesagt, und ihre Welt ist die der Katzen, von einem Ende zum andern.
Rainer Maria RilkeRast. Gast sein einmal. Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost. Nicht immer feindlich nach allem fassen, einmal sich alles geschehen lassen und wissen: was geschieht, ist gut.
Rainer Maria RilkeDie Nacht ist wie ein großes Haus. Und mit der Angst der wunden Hände reißen sie Türen in die Wände - dann kommen Gänge ohne Ende, und nirgends ist ein Tor hinaus.
Rainer Maria RilkeDu irrst, wenn du gerührt zu irgend einem Ding ein Heimweh hast. Wir wandeln dieses um; es ist nicht hier, wir spiegeln es herein aus unserm Sein, sobald wir es erkennen.
Rainer Maria RilkeDer Schicksale sind nicht viele: wenige große wechseln beständig ab und ermüden an denen, die mit unbegrenzt emfindendem Herzen unzerstört hingehn.
Rainer Maria RilkeAller Zwiespalt und Irrtum kommt davon her, daß die Menschen das Gemeinsame in sich, statt in den Dingen hinter sich, im Licht, in der Landschaft im Beginn und im Tode, suchen.
Rainer Maria RilkeIch finde dich in allen diesen Dingen, denen ich gut und wie ein Bruder bin; als Samen sonnst du dich in den geringen und in den großen gibst du groß dich hin.
Rainer Maria RilkeDie Kunst ist ein Ding viel zu groß und zu schwer und zu lang für ein Leben, und die, welche ein großes Alter haben, sind erst Anfänger in ihr.
Rainer Maria RilkeUnsäglich Schweres wird von mir verlangt. Aber die Mächte, die mich so verpflichten, sind auch bereit, mich langsam aufzurichten, so oft mein Herz behängt mit den Gewichten der Demut, hoch in ihren Händen hangt.
Rainer Maria RilkeDie Zeit geht so schnell und ich habe es längst aufgegeben, mit ihr um die Wette zu laufen.
Rainer Maria RilkeWir haben, wo wir uns lieben, ja nur dies: einander lassen; denn daß wir uns halten, das fällt uns leicht und ist nicht erst zu erlernen.
Rainer Maria RilkeUnrechthaben gegeneinander, aber mit des Lebens unbegreiflichem Rechthaben als Anlaß und Hintergrund!
Rainer Maria RilkeEs fällt niemanden ein, von einem Einzelnen zu verlangen, daß er glücklich sei, - heiratet aber einer, so ist man sehr erstaunt, wenn er es nicht ist!
Rainer Maria RilkeNichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem und mal es auf Goldgrund und groß. Und halte es hoch, und ich weiß nicht wem löst es die Seele los.
Rainer Maria RilkeBefiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Rainer Maria Rilke