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Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren, du nur, du wirst immer wieder geboren: weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.
Rainer Maria RilkeIst einer, der nimmt alle in die Hand, daß sie wie Sand durch seine Finger rinnen.
Rainer Maria RilkeUnd dieser Frühling macht dich bleicher, in weite Wiesen will dein Fuß, dein Lied wird leis, dein Wort wird weicher, mit jedem Wink, mit jedem Gruß.
Rainer Maria RilkeNichts legt die Menschen so sehr im Irrtum fest wie die tägliche Wiederholung dieses Irrtums.
Rainer Maria RilkeMan muß nicht ein Pflaster, weil es einmal gut getan hat, das ganze Leben aufgelegt lassen.
Rainer Maria RilkeDas Leben sagt immer zugleich: Ja und Nein. Er, der Tod, ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur: Ja.
Rainer Maria RilkeIst es möglich, daß alle diese Menschen eine Vergangenheit, die nie gewesen ist, genau kennen? Ist es möglich, daß alle Wirklichkeiten nichts sind für sie; daß ihr Leben abläuft, mit nichts verknüpft, wie eine Uhr in einem leeren Zimmer?
Rainer Maria RilkeWenn es zwei Menschen gelingt, die Weite in sich zu lieben, so gibt sie ihnen die Möglichkeit, einander immer in ganzer Gestalt und vor einem großen Himmel zu sehen.
Rainer Maria RilkeFreude ist unsäglich mehr als Glück, Glück bricht über die Menschen herein, Glück ist Schicksal - Freude bringen sie in sich zum Blühen, Freude ist einfach eine gute Jahreszeit über dem Herzen; Freude ist das Äußerste, was die Menschen in ihrer Macht haben.
Rainer Maria RilkeWie der Himmel ist, so sind die Nächte, und wie die Nächte sind, so ist die Stimme der Nachtigallen. Wo die Nächte weit sind, da ist ihr Klang tief, und sie holen ihn unendlich fernher und tragen ihn bis ans Ende.
Rainer Maria RilkeWie hoffnungsvoll ist der Einzelne doch immer wieder, wie wirklich, wie gutgewillt, wie reich, - wenn man dann die wirre trübe Menge sieht, begreift mans nicht, daß er sich in ihr so, gleichsam spurlos, verliert.
Rainer Maria RilkeLerne, den geliebten Gegenstand mit den Strahlen deines Gefühls zu durchscheinen, statt ihn darin zu verzehren!
Rainer Maria RilkeDeine Erfahrungen sollten nirgends umkehren, nicht erschrecken, an keinen Türen horchen, überall leise und aufrecht durchgehen wie starke pflegende Schwestern, die ans Handeln gewohnt sind, wo andere jammern.
Rainer Maria RilkeGab es je einen Mann, der nicht gespannt auf die Bühne seines eigenen Herzens geschaut hätte?
Rainer Maria RilkeDie Vibration von jeder reinen tiefen Tätigkeit pflanzt sich nach allen Seiten gleichmäßig fort wie die Schwingung einer aus purer Freude geläuteten Glocke.
Rainer Maria RilkeSo sind die Menschen falsche Aristokraten. Sie glauben, ihr Reichtum beruhe darin, das Andenken großer Vorfahren zu feiern und zu preisen. Und dabei könnten sie um so vieles reicher sein, wenn sie ihre eigenen Möglichkeiten feiern und preisen wollten.
Rainer Maria RilkeDas Leben ist durchaus nicht so konsequent wie unsere Sorgen, es hat viel mehr Einfälle und viel mehr Seiten als wir.
Rainer Maria RilkeDieses endgültig freie Jasagen zur Welt rückt das Herz auf eine andere Ebene des Erlebens.
Rainer Maria RilkeDie Einsamkeit ist im Grunde nichts, was man wählen oder lassen kann. Wir sind einsam. Man kann sich darüber täuschen und tun, als wäre es nicht so. Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, daß wir es sind, je geradezu, davon auszugehen.
Rainer Maria RilkeAlldieweil Liebe bei Lieb ist, weiß Lieb nicht wie lieb Lieb ist; wenn aber Lieb von Lieb scheidet, weiß lieb Lieb wohl, was lieb Lieb war
Rainer Maria RilkeAlles, was von Mensch zu Mensch übergeht an Einverständnis und gegenseitiger Freude, ist unverdient und nie verdienbar.
Rainer Maria RilkeIch glaube an das Alter, lieber Freund, Arbeiten und Altwerden, das ist es, was das Leben von uns erwartet.
Rainer Maria RilkeVon Sevilla, offengestanden, hab ich, abgesehen von Sonne, nichts erwartet, und es gibt mir auch weiter nichts; wir haben einander nichts vorzuwerfen.
Rainer Maria RilkeWie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt. Wie weiß ich's noch: ein dunkles, unverwund'nes, grausames Etwas, das ein schön verbund'nes noch einmal zeigt und hinhält und - zerreißt.
Rainer Maria RilkeTanzt die Orange. Wer kann sie vergessen, wie sie, ertrinkend in sich, sich wehrt wider ihr Süßsein. Ihr habt sie besessen. Sie hat sich köstlich zu euch bekehrt. Tanzt die Orange.
Rainer Maria RilkeEs ist nicht unmöglich, daß wir anders geworden sind durch die Macht eines einsamen Dichters, der vor Hunderten von Jahren gelebt hat und von dem wir nichts wissen.
Rainer Maria Rilke