Zitate von Rainer Kohlmayer
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Langue & parole bzw. Monica & Hillary. – Die Zungenfertigkeiten der Hetäre und die der Intellektuellen: Bitte niemals das eine durch das andere verdrängen.

Nachruf auf Oscar Wilde. – Gib einem Menschen die Möglichkeit, sich zu verwirklichen, und er wird mit aller Gewalt danach streben, unterzugehen.

Nostalgie hat immer Zukunft. – Hinter seiner Zeit zurückbleiben kann genau so befriedigen wie ihr voraus sein. Welcher intelligente Mensch gäbe sich schon damit zufrieden, nichts als Zeitgenosse der Gegenwart zu sein.

Rotkäppchen und Direktor Wolf. – „Vorgesetzter, warum hast du so kleine Ohren?“ – „Wie bitte?“

Recycling. – Vom Leichnam der großen Religionen nähren sich die fetten literarischen Maden.

„Ach, du…“ – Die schönsten Abkürzungen sind die stammelnden Tautologien der Verliebten.

Wo soll hier ein Druckfehler sein? – „Aus gewöhnlich gut unterrichteten Finanzgreisen verlautete, …“

Viele Politiker standen schon vor der Wahl, zurückzutreten oder zurückzutreten. Die einen haben erst zurückgetreten und sind dann zurückgetreten. Die andern sind erst zurückgetreten und haben dann zurückgetreten.

Wegweiser. – Erst spät erkannte er, daß die großen geistigen Wegweiser keinen Weg weisen, sondern nur weg weisen: Wer weise ist, soll schnell seiner eigenen Wege gehen. „Weg, Weiser!“

Akademische Tiefspringer. – Es gibt Theorien, die ihre Verbreitung und Beliebtheit dem Umstand verdanken, daß sie die Meßlatte nicht höher, sondern tiefer legen. Die Kurzbeinigen jubeln.

Gemeinschaft macht stark. – Nichts garantiert das gegenseitige Verstehen und Vertrauen so zuverlässig wie die gemeinsame Ignoranz.

Riskantes Termingeschäft. – Wer sich für andere aufopfert, macht einen betrügerischen Bankrott und spekuliert auf fragwürdige Fegefeuererleichterungen oder himmlische Subventionen.

Kompensation. – Das Territorium der Sowjetunion ist in viele kleine Territorialterroristen zerfallen. Zwischen Territorium und Terror besteht ein unauflösbarer Zusammenhang.

Makabre Dialektik. – Daß die erste Silbe des wichtigen deutschen Wortes „sauber“ ausgerechnet „sau“ lauten muß! Ähnlich abgründige Beziehungen bestehen zwischen „sterben“ und „erben“, „treue“ und „reue“, „hoden“ und „oden“, „heiter“ und „eiter“, „werde“ und „erde“. Es ist zum Karl-Valentin-werden!

Was sagt das Sprichwort über die Geschwindigkeit politischer Karrieren? – „Ehrlich währts am längsten.“

Im Rampenlicht. – Die englische Sprache hat für „handeln“ und „schauspielern“ ein und dasselbe Wort: „to act“. Ein gelungenes Bonmot auf die Politiker des Fernsehzeitalters.

Provinzprofessor, vor dem Spiegel übend. – Es gelang ihm mehrmals, das Wort „Niveau“ auszusprechen, ohne rot zu werden.

Vorübergehende Bindung. – Als sich die Liebe nicht einstellte, wurde sie eingestellt.

Anarchist beim Absingen der Nationalhymne. – „Einigkeitunrechtunfreiheit Führdasdeutschevaterland…“

Goethes Motto, Ottos Replik. – „Ho mä dareis anthropos ou paideuetai: Wer nicht geschunden wird, wird nicht geformt.“ – Otto: „Aber auch nicht genormt.“

Archaismus. – „Mann, is das gut!“, sagen auch Feministinnen, wenn es ihnen besonders gut schmeckt.

Cartesianische Variationen. – Ich denke, also denke ich, daß ich denke. – Ich denke, also tu ich nix. – Ich denke, du arbeitest! – Ich dachte, du spülst das Geschirr! – Ich denke, ich möchte eine Professur für Philosophie. – Ich denke, na also.

Sieg nach Punkten. – Nach einem Gespräch unter vier Augen war er wieder k.o.operationsbereit.

Vom Nazismus zum Narzißmus. – Die Großväter verstecken die Vergangenheit (no past). Die Enkel verzichten auf die Zukunft (no future).

Hagestolz. – Er fürchtete lebenslang die Beziehung zwischen Umarmung und Verarmung.

Who is Who? – Bei Demonstrationen kommt es manchmal zu Schlägereien zwischen Polizisten in Zivil und uniformierten Demonstranten. Durch eine engagierte Presseberichterstattung kann das Verwirrspiel dann noch weiter verkompliziert werden.

„Argumente“ heißen die schärfsten Spitzen jener Eisberge, die aus tiefgefrorenen Gefühlen bestehen.

Nachruf auf einen Wissenschaftler. – Er verzichtete auf seine Biographie zugunsten seiner Bibliographie.

Kunst geht nach Brot. – In einer Zeit, wo alles dem Geld hinterher rennt, ist die Tatsache, daß die Kunst nach Brot „geht“, ein letztes Signal von Würde und Protest.

Wer bestimmt hier? – Etwas, zum Beispiel ein Panzer oder ein Flugzeug, wird „seiner Bestimmung“ übergeben. Welcher „Bestimmung“? „Seiner“. Schlau gesagt! Man verlagert das Kommando ins Objekt.

Nichts zu lachen. – Wer mit sich allein ist, denkt nicht in Polaritäten. Das Alleinsein beseitigt die Kontraste.

Bob Wilsons Bildertheater. – Die Unterdrückung der Sprache in der Inszenierung wird durch den Redeschwall der Interpreten kompensiert.