Zitate von Emanuel Wertheimer
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Der Anblick der Armut ist oft so ergreifend, daß man gerührt ein Almosen – für sich beiseite legt.
Die Bosheit hat etwas Aufopferndes: sie verzichtet gern auf einen Vorteil zum Nachteil eines andern.
Die Natur hat auch die geistigen Fähigkeiten ungerecht verteilt, dem Genie alles gegeben, dem Talentlosen nichts; für diesen erfand man daher eine neue Kunstgattung, den Naturalismus. Und so braucht man heute wohl eine Richtung, aber kein Talent.
Das Leben verliert unterwegs an Reiz, daher möchte man so gern schon auf halbem Wege wieder umkehren.
In der Grausamkeit standen alle Völker sofort auf der höchsten Stufe der Entwicklung.
Unerschütterliches Selbstbewußtsein besitzen nur jene, die sich durch die Talente andrer einen Namen machen.
Der Fortschritt erdrückt uns mit Bedürfnissen; er macht die Bequemlichkeit von gestern zur Unbequemlichkeit von heute, und so genießen wir ein immer sorgenvolleres Glück.
Die Million geht an den nach einem Pfennig flehenden Blicken vorüber, sinnend, wie man noch eine Million erwirbt.
Man tadelt die Schöpfung – mit Recht: für unsre Begriffe ist sie zu unendlich, für unsre Wünsche zu begrenzt.
Origineller Unsinn findet immer seine enthusiastischen Apostel: Dummköpfe, denen es schmeichelt, das zu verstehen, was Kluge nicht verstehen.
Wie glücklich fühltest du dich, wüßtest du, wie vielen Gefahren du heute entronnen!
Die Gelegenheit, Gutes zu thun, stimmt selten so fromm wie Glockengeläute, Weihrauch und bunte Fensterscheiben.
Die Pflicht hält sich so aufrecht, weil sie von der einen Seite durch die Strafe, von der andern durch die Belohnung gestützt wird.
Ladet man das Glück zu sich, verspricht man ihm die überschwenglichste Aufnahme – und ist es da, versäumt man sogar, es zu empfangen.
Wie glücklich wäre die Welt, wenn das Wohl aller von dem jedes einzelnen abhinge!
Wenn alle unsere Wünsche in Erfüllung gingen, würde es für unsere Mitmenschen schlecht aussehen.
Manche Philosophen fordern zu ihrem Verständnis mehr Verstand, als sie selbst besitzen.
Die Liebe würde ihren Namen verdienen, könnte sie sich die Beständigkeit der Eigenliebe zum Muster nehmen.
Niemand vermutet, wieviel von seiner Ehrlichkeit er den Gesetzen zu verdanken hat.
Man fürchtet Kindern ideale Grundsätze beizubringen, aus Angst, sie könnten später ihren Mitmenschen nicht gewachsen sein.