Zitate von Michel de Montaigne
page 6
Wir haben geglaubt, das Band, das bei uns die Ehegatten aneinander bindet, fester zu knüpfen, indem wir jede Möglichkeit, es zu lösen, beseitigten; aber in demselben Maße, wie der Zwang sich gesteigert hat, hat sich die freiwillige Bindung durch die Zuneigung gelockert.
Die Not führt die Menschen zusammen und vereinigt sie. Dieses zufällige Flickwerk nimmt dann gesetzliche Formen an.
Der Hang, der sich am allerwenigsten mit der Einsamkeit verträgt, ist der Ehrgeiz.
Niemand ist frei davon, Dummheiten zu sagen. Das Unglück ist, sie feierlich vorzubringen.
Es ist ein kindlicher Ehrgeiz, dadurch besonders fein wirken zu wollen, daß man es anders macht als die anderen.
Mir ist es klar, daß wir die Pflichten der Religion nur insoferne üben, als deren Dienst unseren Leidenschaften schmeichelt.
Auch wenn der Mensch versucht, jemand anderen darzustellen, immer wird er sich selbst spielen.
Wir werden zwar von herrlichen Sprüchen der Weisheit nicht beredter, wohl aber klüger, sie machen uns nicht schön reden, sondern schön behandeln.
Die oberste Aufgabe, zu der wir berufen sind, ist für jeden, sein eigenes Leben zu führen.
Den wirklich gelehrten Menschen geht es wie den Kornhalmen auf dem Felde: Sie wachsen frisch auf und richten den Kopf gerade und stolz in die Luft, solange die Ähren noch leer sind. Sobald sie angeschwollen, voll Korn sind und reif werden, senken sie demütig die Häupter.
Mein Leben war voller schrecklicher Unglücke, von denen die meisten nie eingetreten sind.
Freundschaft ist ein Tier, das in Paaren und nicht in Rudeln lebt; es wird mir schwer, mich halb und immer mit Einschränkungen mitzuteilen. Ich kann diese knechtische und argwöhnische Vorsicht nicht aufbringen, die bei den üblichen unvollkommenen Freundschaften im Umgang von uns verlangt wird.
Das Gefühl für das Gute und Böse hängt großenteils von der Meinung ab, die wir davon hegen.
Die Gewohnheit hat die Kraft, unser Leben zu formen, und zwar nach ihrem Gutdünken; ihr Einfluß ist grenzenlos; es ist der Zaubertrank der Circe, der unsere Natur in jeder Richtung umzugestalten vermag.
1998: Montaigne, Michel de: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett.
Was ich heute für wahr halte, ist meine tiefste Überzeugung. Aber es ist mir nicht tausendmal begegnet, daß ich nachher etwas ganz anderes für ebenso wahr gehalten habe.
Raserei und Schlaf sind die beiden Tore, durch die man Eintritt zum Rat der Götter erhält, wo man die Zukunft voraussehen kann.
Das ist nicht die rechte Keuschheit und Mäßigung, wenn Katharre uns diese Tugenden bescheren.
Die Achtung, die ein Mensch verdient, und sein Wert hängen ab von seinem Mut und seinem Willen: Hierin liegt seine wahre Ehre.
Ich halte es für gleich unrichtig, sich mit Widerwillen von den natürlichen Freuden abzuwenden, wie sich ihnen im Übermaß hinzugeben. Man soll ihnen nicht nachlaufen, aber auch nicht vor ihnen wegrennen: man soll sie nehmen wie ein Geschenk.
Gleichheit ist eine Hauptstütze der Billigkeit. Und wer hat sich zu beklagen, wenn gleichen Brüdern gleiche Kappen zugeschnitten werden?
Man kann häufig genug wahrnehmen, daß gute Absichten die Menschen zu den schlimmsten Taten fortreißen, wenn die Ausführung ohne Mäßigung erfolgt.
Das Meisterstück eines Menschen, auf das er besonders stolz sein kann, ist, sinnvoll zu leben: Alles Übrige – wie regieren, Schätze sammeln, Bauten errichten – sind Nebensachen.
Wie weit uns doch die Eitelkeit der guten Meinung, die wir von uns selbst haben, verleiten kann! Die wohlgeordnetste und vollkommenste Seele der Welt hat genug zu tun, sich aufrecht zu erhalten und sich zu hüten, daß sie nicht aus eigner Schwäche strauchle und falle.
Die meisten Menschen vermieten sich; sie verwenden ihre Kräfte nicht für sich, sondern für die, von denen sie sich beherrschen lassen: nicht sie selber sind bei sich zu Hause, sondern ihre Mieter.
Mit dem Tod beginnt eine ganz andere Existenz. Auch in das Erdenleben sind wir mit Tränen und Schmerzen eingegangen, auch bei diesem Neubeginn mußten wir den Schleier des Geheimnisses ablegen, der uns vorher unsere Zukunft verhüllte.
Wenn ihr ein Jahr gelebt und den Wechsel der Jahreszeiten erlebt habt: Winter, Frühling, Sommer, Herbst, dann habt ihr alles gesehen und nichts Neues werdet ihr mehr erblicken.
Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Dingen, die uns lieb sind, immer ein wenig wärmer.
Wenn du nicht weißt, wie du mit dem Tode fertig werden sollst, so braucht dir das keinen Kummer zu machen; die Natur wird es dich zur rechten Zeit lehren, vollständig und ausreichend.
Man muss der Unehrlichkeit oder Unvorsichtigkeit seines Bedienten immer ein wenig Spielraum lassen.
Der Mensch schmiedet tausend spaßige Gemeinschaften zwischen sich und Gott: hält er ihn nicht auch für seinen Landsmann?
Wer mit dem Anfang nicht zurechtkommt, kommt mit dem Ende erst recht nicht zurecht.
Ich habe auf dieser Welt kein ausgesprocheneres Ungeheuer und Wunder gesehen als mich selbst.
Die Feigheit ist unauslöschlicht: wer einmal mit diesem Makel behaftet ist, ist es für immer; die Strafe ist mehr als das Verbrechen selbst.
Der allgemeine Irrtum zeugt den Irrtum des Einzelnen, und, seinerseits, schafft den allgemeinen Irrtum.
Ich ziehe die Gesellschaft von Bauern vor, weil sie nicht genügend Bildung genossen haben, um falsche Schlußfolgerungen zu ziehen.
Die meisten Menschen verziehen die Miene und sprechen lauter, wenn ihre Stärke nachläßt.
Der Brief, der mir am sauersten wird, taugt gerade am wenigsten. Wenn ich erst darüber nachdenken muß, so ist das ein Zeichen, daß ich nicht ganz dabei bin. Gewöhnlich fange ich an, ohne festen Plan und ein Satz fügt sich zum andern.
Alle Bewegung der Welt zielt nach Begattung; es ist allenthalben ausgegossene Materie, ein Mittelpunkt, nach dem alle Strahlen hinzielen.
Dieses Essen im Wirtshaus mag ich ganz und gar nicht. Unter den vielen Leuten zu sitzen, die einen alle gar nichts angehen.
Keine Lage ist so elend, über die man nicht durch tausend Beispiele trösten könnte. Aber es ist einmal unser Fehler, daß wir lieber auf das sehen, was über uns ist, als auf das, was unter uns ist.
Ein junger Mann muß seine Gewohnheiten manchmal durchbrechen, um seine Kräfte wach zu halten und um zu vermeiden, daß sie faul und feige werden.
Es gehört doch immer ein gewisser Grad von Einsicht dazu, wahrzunehmen, daß man nichts wisse.
Was heute geschieht, ist eine ebenso ergiebige Quelle der Erkenntnis wie die Ereignisse zur Zeit des Homer oder des Plato.